Buchkritik -- Wolfgang Walk -- Das dunle Geheimnis Jesu

Umschlagfoto, Buchkritik, Wolfgang Walk, Das dunle Geheimnis Jesu, InKulturA Wenn Literatur Geschichte umschreibt, wird es spannend. Wenn es dabei auch noch um eine Umdeutung des wohl grundlegendsten Mythos der westlichen Welt geht, dann ist erhöhte Aufmerksamkeit angesagt.

Man schreibt das Jahr 62 n. Chr. und in Pompeji treffen zwei Männer wieder aufeinander, deren Leben sich bereits vor Jahren gekreuzt hat. Der schwer verletzte Shaul und Faustus, ein Weinhändler, der die Vorratskeller der römischen Kaiser bestückt, beide in der Vergangenheit als Paulus und Yeshua bekannt, nutzen die wenigen Shaul noch verbleibenden Tage, um sich ihre Lebensgeschichten zu erzählen.

"Das dunkle Geheimnis Jesu", so der Titel des historischen Romans von Wolfgang Walk, erzählt eine, vom Kanon christlicher Überlieferungen abweichende Geschichte, die es in sich hat. Ein aus der Provinz stammenden junger Rabbi macht sich daran, in der römischen Provinz Galiläa zu missionieren. Sein Ziel ist Jerusalem, wo er jedoch feststellen muss, dass er die Macht des Faktischen, die dortigen politischen Verhältnisse und den dort inszenierten Intrigen nicht gewachsen ist.

Hier in Jerusalem begegnen sich Shaul/Paulus und Faustus/Yeshua zum zweiten mal ohne sich jedoch in einer persönlichen Beziehung zu befinden. Während Yeshua vor dem ihm drohenden Prozess einen Handel mit Pontius Pilatus eingeht und, man verrät nicht zu viel, der ihn vor dem Tod am Kreuz bewahrt; allerdings zu einem sehr hohen Preis, findet sich Shaul, obwohl tief in seinem Inneren von Yeshuas Predigten berührt, in der Rolle eines Spitzels im Dienst des Sanhedrin, der obersten jüdischen religiösen und politischen Instanz wieder.

Was wäre gewesen, hätte sich diese Episode so abgespielt, die Walk seinem Roman zugrunde legt? Die Welt, so wir wir sie kennen, wäre eine vollkommen andere geworden und genau dieses Spiel mit der Geschichte, das Verschieben historischer Puzzleteile und der dramatische Unterschied zwischen "Wahrheit und Wirklichkeit", zwischen dem, was real geschehen ist und dem, was im Bewusstsein der Menschen verankert wird, macht den Reiz dieses hervorragenden, nicht um eine Zeile zu langen Romans aus.

So ist dieser Yeshua zwar ein begnadeter Redner, der mit jeder Predigt mehr Menschen um sich scharen kann, jedoch bei weitem nicht der Vollbringer von Wundern, wie es durch die Evangelien des Neuen Testaments überliefert wird. Doch sein Glaube an eine mögliche bessere Welt erfährt in Jerusalem die Gnadenlosigkeit politisch-religiöser Ränkespiele.

Paulus, der laut "offizieller" Geschichtsschreibung auf dem Weg nach Damaskus sein Bekehrungserlebnis hatte, wird vom Autor als ein zwiespältiger und schwieriger Charakter beschrieben, dessen sexuelle Probleme in einem schrecklichen Verbrechen an seiner Ehefrau kulminieren. Und doch ist es Paulus, der die Wahrheit zur Wirklichkeit manipuliert und damit den Grundstein für die weitere Entwicklung der im Kern jüdischen Religion zum Christentum legt.

Was wäre diese fiktive Geschichte, wenn nicht auch die Figur des Judas, dem Urbild des Verräters, eine andere Interpretation erfahren hätte? Walk macht aus Yehuda den, salopp ausgedrückt, Finanzverwalter und Logistiker der Bewegung, der in Jerusalem ebenfalls ein Opfer politischer Intrigen wird und seitdem unten dem Nimbus des Denunzianten steht.

"Wahrheit und Wirklichkeit", zwischen diesen beiden Polen breitet Wolfgang Walk ein historisches Panorama aus, das den Leser tief hineinzieht in die Lebensgeschichten von Menschen, deren Dasein die festgeschriebene Überlieferung ein für allemal zementiert hat. Dass es durchaus auch anders hätte gewesen sein können, das erzählt dieser Roman, der seinen Spannungsbogen bis zur letzten Seite aufrechterhält. Absolute Leseempfehlung!




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Veröffentlicht am 28. Dezember 2017