Buchkritik -- Frank Wittig -- Die weiße Mafia

Umschlagfoto, Frank Wittig, Die weiße Mafia Das deutsche Gesundheitswesen ist selber ein leidender Patient. Jährlich erhöhen sich die Ausgaben für medizinische Anwendungen und Arzneimittel, obwohl diverse politische Versuche unternommen worden sind, die aus dem Ruder laufenden Kosten zu senken. Wer verdient an den Geldern, die in das System fließen? Kommen sie den Patienten zugute oder sind sie eine fette Beute für Lobbyisten und Funktionäre?

Frank Wittig hat in seinem Buch "Die weiße Mafia" einen tiefen Einblick in die Abläufe und Mechanismen des Systems Gesundheitswesen geworfen und erschreckende Erfahrungen gemacht. Unnötige Operationen, fragwürdige Vorsorgeuntersuchungen und Zahnärzte, die mit nicht notwendigen Kariesbehandlungen für die Steigerung ihrer Einkommen sorgen.

All das kostet den Beitragszahler jährlich viele Millionen Euro und trägt in keiner Weise zur Verbesserung der Volksgesundheit bei. Im Gegenteil, die Folgekosten für unsachgemäß durchgeführte Vorsorgeuntersuchungen, z. B. der Prostata, stehen in keinem Verhältnis zu dem erwarteten Vorteil. Zumal neue wissenschaftliche Studien den Nutzen dieser in Deutschland großangelegten und von den Krankenkassen, also vom Beitragszahler, bezahlten Vorsorgeuntersuchung widerlegen.

Wittig, der sich seit vielen Jahren mit den Fehlentwicklungen des Systems Gesundheitswesen beschäftigt, lässt in seinem Buch Insider, also Funktionäre und Mediziner, aber auch Betroffene und Opfer des Systems zu Wort kommen. Es geht, so die anonym bleibenden Gesprächspartner, einzig und allein darum, die Taschen und Kassen so mancher praktizierender Ärzte zu füllen.

Das Gesundheitssystem in Deutschland setzt auf die Selbstkontrolle. Die funktioniert anscheinend nicht richtig. So ist vielen Krankenkassen zwar bewusst, so jedenfalls Frank Wittig, dass es in den Reihen der Ärzte einige schwarze Schafe gibt, doch bis auf wenige Ausnahmen werden diese Auswüchse unter den Teppich gekehrt und getreu dem Motto "Es kann nicht sein, was nicht sein darf" der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis gebracht. Der Beitragszahler wird`s schon richten.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Autor stellt nicht den ganzen Berufszweig der Ärzte unter Generalverdacht. Die überwiegende Mehrheit leistet gute bis sehr gute Arbeit. Doch die Dunkelmänner in Weiß bringen eine ganze Branche in Verruf. Der Politik ist es, trotz immer wieder versuchter Gesundheitsreformen und diversen Kostendämpfungsgesetzen nicht gelungen, die Fehlentwicklungen zu korrigieren. Nicht umsonst ist der Posten des Gesundheitsministers eher ein politischer Schleudersitz als ein Amt mit Gestaltungsmöglichkeiten. Dafür sorgen u. a. die Lobbyisten der Pharmakonzerne, die zusammen mit den Funktionären der medizinischen Vereinigungen ihre jeweiligen Interessen durchsetzen. Dass das nicht unbedingt die Interessen der Beitragszahler sind, ist evident.

Hinter dem etwas martialisch klingendem Titel "Die weiße Mafia" steckt ein überaus lesenswertes Buch, das so manchem Beitragszahler und Patienten die Augen öffnen wird. Das Fazit, das Frank Wittig zieht, ist eher negativ. Es gibt derzeit keine Möglichkeit, die Macht der medizinischen Interessenvertreter zu brechen. Zu groß und zu stark ist deren Einfluss auf die Politik und das Gesundheitssystem. Einen Tipp gegen medizinische Übertherapie hat er aber doch auf Lager. Patienten sollten sich auf alle Fälle die Zweitmeinung eines anderen Arztes einholen.

Leider wird der insgesamt gute Eindruck dieses Buches durch die zu oft wiederholten Bemerkungen des Autors bezüglich seines Arbeitgebers, des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens, das, so verstehe ich Wittig, die einzige Institution in Deutschland ist, die es fertigbringt, gute und investigative Reportagen zu liefern, etwas gestört.

Die gute journalistische Arbeit des Autors schmälert das allerdings nicht.




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