Buchkritik -- Wolfgang Müller-Michaelis -- Neue Wege zu mehr Beschäftigung

Umschlagfoto  --  Wolfgang Müller-Michaelis  --  Neue Wege zu mehr Beschäftigung Das erklärte Lieblingswort von deutschen Politikern, Gewerkschaftlern und Wirtschaftsbossen heißt Reform. Ob im Gesundheitssektor, in der Rechtschreibung, am Arbeitsmarkt - kein Bereich, ob staatlich oder wirtschaftlich, meint ohne den Zusatz dessen, was im Kern Neuordnung, bzw. die Verbesserung des Bestehenden bedeutet, auszukommen. An Versuchen diesbezüglich mangelt es nicht. Sie alle sind jedoch, bestenfalls, zum Scheitern verurteilt. Im schlimmsten Fall, wie aktuell die sog. Gesundheitsreform zeigt, führen sie zu einer allgemeinen Konfusion, die parallel zum Misslingen auch noch Milliarden an Steuergeldern kostet.

Der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Manager Wolfgang Müller-Michaelis zeigt in seinem Buch Neue Wege zu mehr Beschäftigung dagegen konkrete Möglichkeiten zu einer wirklichen Reform in unserem Land. Eine seiner Kernaussagen besteht in der These, daß die in Deutschland vorhandene Arbeit für alle Arbeitssuchenden ausreichen würde.

Das scheint auf den ersten Blick ein mehr als gewagter Ausgangspunkt für seine weitere Argumentation zu sein. Doch schnell wird deutlich, wie ernst es Müller-Michaelis damit ist. Für ihn macht es keinen Sinn, in veralteten Kategorien zu denken. Die Zahl der Industriearbeitsplätze hat sich in Deutschland dramatisch verringert. Daraus resultierend ergibt sich eine hohe Zahl von Arbeitslosen. Gleichzeitig jedoch sind in nahezu identischer Zahl neue Arbeitsplätze in neuen Arbeitsfeldern entstanden. Digitalisierung, Dienstleistung und wissensverarbeitende Wirtschaft sind diese neuen Tätigkeitsfelder.

Das Problem besteht darin, "...dass ein nicht unerheblicher Teil dessen, was wir Arbeitslosigkeit nennen, in Wirklichkeit Ausbildungsdefizite in der Beherrschung moderner Techniken sind." Hiermit spricht Müller-Michaelis ein weiteres Anliegen seines Buches an. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Mensch seine 45 Jahre Berufsjahre am gleichen Arbeitsplatz verbracht hat. Flexibilität und lebenslange Lernbereitschaft sind jetzt die Voraussetzungen für eine ununterbrochene Erwerbsbiographie. Im Falle eines, wie der Autor es nennt, betriebsbedingten Arbeitsplatzwechsels, soll bis zu einem neuen Arbeitsantritt eine außerbetriebliche Berufsstudienzeit, sprich Weiterbildung, stehen.

Sein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung des Einzelnen zur Absicherung privater Risiken, dazu zählt für den Autor auch eine private Gesundheits- und Altersvorsorge, entlastet die staatlichen Kassen und fördert Eigeninitiative und Wettbewerb. Sein Modell ist radikal, aber wirtschaftlich fundiert. Seine Thesen fordern nichts weniger, als den kompletten Umbau dessen, was wir zur Zeit noch ein staatliches Sozial- und Gesundheitssystem nennen. Der Umbau ist dringend geraten, denn wenn wir unseren Kindern und Enkeln keine unlösbaren finanziellen Lasten auferlegen wollen, muss es gelingen, jetzt umzusteuern.

Interessanterweise bringt Müller-Michaelis wieder die Idee des Investivlohns, d. h. die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital, auf die Tagesordnung. Die Unterkapitalisierung der Wirtschaft würde beseitigt und die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand verbessert werden. Die Wiederbelebung dieser alten Erhardschen Idee würde beiden Seiten Vorteile bringen.

Der Autor beklagt zu Recht die unnötigen, weil historisch überholten Grabenkämpfe zwischen Politik, Gewerkschaft und Unternehmern. Die Zeiten haben sich geändert, doch anscheinend haben es die Verantwortlichen noch nicht gemerkt. Im benachbarten Ausland ist man bereits ein ganzes Stück weiter.

Wolfgang Müller-Michaelis hat ein engagiertes Buch über die dringend anstehenden Veränderungen geschrieben. Es ist Gegenentwurf zur gescheiterten Reformpolitik. Er stellt die komplexen Zusammenhänge und die daraus resultierenden Veränderungen so verständlich dar, daß sie auch und gerade von unseren Berufspolitikern verstanden werden sollten.




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