Buchkritik -- Michael Kreisel -- Zeitgänge

Umschlagfoto  -- Michael Kreisel  --  Zeitgänge Die Zeit der philosophischen Systeme scheint in der Moderne vorbei zu sein. Man kann das bedauern oder begrüßen, an dieser Tatsache führt jedoch kein Weg vorbei. Betrachtet man jedoch die aktuellen philosophischen Strömungen, so kommt es einem vor, als würde man von einem Strudel fortgerissen und in den Abgrund einer, des Sinns verloren gegangener Kommunikationsform, hineingezogen. Wittgensteins Bemerkung "Alle Philosophie ist Sprachkritik", war in Wirklichkeit der letzte Satz der Grabrede zum Tod der Philosophie im 20. Jahrhundert.

Noch einmal Wittgenstein: "Das Resultat der Philosophie sind nicht philosophische Sätze, sondern das Klarwerden von Sätzen. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Philosophie wird hier auf ein semantisches Phänomen reduziert, was an sich nicht weiter tragisch gewesen wäre, wenn sich nur die Universitätsphilosophie auch an den letzten Teil der Wittgenstein`schen Aussage gehalten hätte. Zu viele "Philosophen" schwatzten, wo sie besser hätten schweigen sollen.

Einen neuen und gewagten Zugang zur Wiederbelebung der Diskussion über den Ursprung dessen, was philosophisches Denken genuin auszeichnet, legt Michael Kreisel in seinem Buch Zeitgänge vor. In diesem schmalen Band führt er die Fragen der Philosophie an den ihnen immanenten Ausgangspunkt zurück. Der Mensch und die Angst um seine individuelle Existenz ist der Versuch, die Philosophie wieder auf ihr angestammtes Fundament zu stellen, um sie neu zu beleben.

Der Autor legt seine Gedanken in Form von Aphorismen und Reflexionen dar. Sie umkreisen ausdauernd und geduldig die Grundfrage nach der individuellen Existenz. Mit Erschütterung liest man von der ersten Erfahrung von Einsamkeit eines unserer menschlichen Urahnen. Mit Schaudern können wir diesen Moment nachvollziehen, in dem die Wiege aller Religionen lag.

Michael Kreisel führt den Leser auf seinen Gängen durch die Zeit immer wieder zum Ausgangspunkt des Scheitern menschlicher Kommunikation zurück. Schon in seinem Vorwort betont der Autor wohl zu recht, dass er sich in der etablierten, weil rigide gewordenen Welt der (Universitäts)Philosophie keinen Ruhm erwerben wird. Immerhin leugnet er vehement die Basis dessen was seit den Zeiten griechischer Philosophie und ebenfalls aktuell kritiklos und affirmativ als Bedingung gesellschaftlichen Zusammenlebens gilt.

Das aristotelische "Zoon Politikon" ist für ihn eine Verleugnung der eigentlichen Grundkonstitution aller menschlichen Existenz, die Erfahrung der individuellen Einsamkeit. Das ganze Buch ist eine Empörung und ein Aufschrei gegen diese existenzielle Fehlinterpretation.

Zeitgänge ist ein provozierendes Buch über die ontologischen Bedingungen der Existenz. Ausgehend von der Tatsache, dass sich die aktuelle Philosophie am Rand einer gesamtgesellschaftlichen Konfusion befindet, ist dieser Band mehr als ein Wagnis. Viele der darin angesprochenen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen bedürfen einer weiteren, ausgiebigen Diskussion. Man darf gespannt sein, ob der Autor diese Erörterungen weiterführt.

Ein wenig wird die Lektüre dieses Buches von der manchmal etwas schlampigen Lektorierung beeinträchtigt. Der Autor stellt seine Thesen mit großer Emotion dar und verläßt dadurch gelegentlich den Pfad einer stringenten Argumentation. Dies ist jedoch verzeihlich, da er sein Anliegen in Form und mit Hilfe gesellschaftlicher Momentaufnahmen darstellt. Sein Thema jedoch bleibt immer im Fokus philosophischer Evidenz.




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