Die Revolution zwitschert

Wenn Karlsruher Amseln zu Antifaschisten werden

Es war nur eine Frage der Zeit. Nachdem die Menschheit bereits Jahrzehnte damit verbracht hat, Hunden das Sitzen beizubringen, Katzen das Ignorieren zu perfektionieren und Papageien dazu zu bringen, peinliche Familiengeheimnisse auszuplaudern, war der nächste logische Schritt klar: Vögel müssen politisch korrekt werden. Und wo könnte das besser gelingen als in Karlsruhe, der Stadt, die schon immer für ihre revolutionären Durchbrüche bekannt war, vom Fahrrad bis hin zur ersten deutschen Verfassung. Nun also: die erste antifaschistische Amsel Deutschlands.

Im Karlsruher Schlossgarten, diesem ehrwürdigen Ort, wo normalerweise nur das sanfte Plätschern des Brunnens und das gelegentliche Knacken von Parkbänken unter dem Gewicht erschöpfter Touristen zu hören ist, ertönt neuerdings eine ganz andere Melodie. Eine Toninstallation, betrieben mit Solarenergie, weil auch der Widerstand nachhaltig sein muss,, beschallt die gefiederten Bewohner mit antifaschistischen Protestsongs. Das Ziel ist so ambitioniert wie rührend: Amseln, Meisen und Rotkehlchen sollen zu „Stimmen des Widerstands“ werden.

Man stelle sich vor: Während anderswo Vögel noch primitiv „Piep, piep“ oder „Kuckuck“ rufen, werden die Karlsruher Exemplare bald „Bella Ciao“ trällern oder Ausschnitte aus „Die Gedanken sind frei“ zum Besten geben. Ein Spaziergang durch den Schlossgarten wird dann zur akustischen Geschichtsstunde, bei der jeder Baum zum Lautsprecher der Demokratie wird.

Die Entstehungsgeschichte dieses Projekts lässt sich vermutlich so rekonstruieren: Irgendwo in einem Karlsruher Büro saß ein Kulturschaffender vor seinem Bio-Kaffee und dachte sich: „Was fehlt unserer Gesellschaft noch?“ Nachdem Diversity-Training für Stadtbäume, gendergerechte Ampelmännchen und klimaneutrale Graffiti bereits abgehakt waren, blieb nur noch eine unerschlossene Zielgruppe: die Vogelwelt.

Warum“, so mag der Gedankengang gewesen sein, „sollen nur Menschen gegen Faschismus protestieren? Haben nicht auch Amseln ein Recht auf politische Bildung? Ist es nicht diskriminierend, dass wir Vögeln bisher nur das Singen von unpolitischen Melodien zugetraut haben?“

Und so wurde aus einer vagen Idee ein konkretes Projekt. Eine Toninstallation sollte her, solar betrieben natürlich, denn auch der antifaschistische Kampf muss CO₂-neutral sein. Die Vögel des Schlossgartens sollten zu einer Art gefiederter Antifa werden, zu einer Luftwaffe der Demokratie, wenn man so will.

Man kann sich die ersten Tage nach der Installation lebhaft vorstellen. Die Amseln, bisher gewohnt an das friedliche Zwitschern ihrer Artgenossen, werden plötzlich mit revolutionären Klängen konfrontiert. Zunächst herrscht Verwirrung im Geäst. „Was ist das für ein seltsamer Gesang?“, mag sich die eine oder andere Amsel gefragt haben. „Und warum klingt er so… kämpferisch?“

Doch Vögel sind lernfähig, das weiß jeder Papageienbesitzer. Und so beginnt allmählich die Transformation. Die erste Amsel, nennen wir sie Rosa, nach Rosa Luxemburg natürlich,, wagt sich an die ersten Takte von „Bella Ciao“ heran. Zunächst noch zaghaft, dann immer selbstbewusster. Bald schon stimmen andere mit ein. Der Schlossgarten wird zur Kaderschmiede der Revolution.

Die Parkbesucher sind zunächst irritiert. „Hörst du das auch?“, fragt eine Rentnerin ihren Mann. „Die Amsel da drüben singt ja… ist das etwa ein Protestlied?“ Der Mann, ein pensionierter Beamter, nickt nachdenklich. „Früher haben die Vögel noch richtige Lieder gesungen. Heute ist alles politisch.“

Was als harmlose Kunstinstallation begann, entwickelt sich schnell zu einem gesellschaftlichen Phänomen mit weitreichenden Folgen. Die Vogelwelt des Schlossgartens spaltet sich in verschiedene Fraktionen. Da sind die progressiven Amseln, die begeistert die neuen Lieder übernehmen und sich als Avantgarde der Bewegung verstehen. Dann gibt es die konservativen Meisen, die weiterhin auf traditionelle Vogelgesänge setzen und die „Politisierung des Gezwitschers“ beklagen.

Besonders dramatisch wird es, als sich herausstellt, dass einige Krähen, schon immer die Intellektuellen unter den Vögeln, beginnen, eigene Texte zu den Melodien zu entwickeln. „Krächz die Faschisten weg“ wird zum neuen Schlachtruf, während die Tauben, traditionell pazifistisch eingestellt, Friedenslieder gurren und damit für zusätzliche Verwirrung sorgen.

Die Situation eskaliert, als eine Gruppe militanter Spatzen beschließt, das Konzept auf andere Parks auszuweiten. Guerilla-mäßig fliegen sie durch die Stadt und verbreiten die revolutionären Gesänge. Bald schon berichten Karlsruher Bürger von seltsamen Phänomenen: Spatzen, die vor Regierungsgebäuden „Die Internationale“ zwitschern, Rotkehlchen, die in Fußgängerzonen antifaschistische Parolen trällern.

Die Stadtverwaltung zeigt sich zunächst entspannt. „Wir begrüßen jede Form des demokratischen Protests“, erklärt ein Sprecher, „auch wenn er von unseren gefiederten Mitbürgern kommt.“ Doch als die ersten Beschwerden eingehen, Anwohner beklagen sich über „politische Lärmbelästigung durch radikalisierte Vögel“,, wird die Lage komplizierter.

Ein Krisenstab wird einberufen. Experten für Vogelverhalten werden konsultiert. „Können Vögel überhaupt politische Überzeugungen entwickeln?“, fragt sich der Oberbürgermeister. Ein Ornithologe wird hinzugezogen, der jedoch nur hilflos mit den Schultern zuckt: „In meiner 30-jährigen Laufbahn habe ich noch nie erlebt, dass Amseln Protestlieder singen.“

Die Situation wird noch absurder, als sich herausstellt, dass die Vögel nicht nur die Melodien, sondern auch die politischen Inhalte zu verstehen scheinen. Eine Amsel wird dabei beobachtet, wie sie gezielt vor dem Büro einer rechtspopulistischen Partei landet und dort besonders lautstark „Bella Ciao“ schmettert. Zufall? Die Experten sind sich uneinig.

Die Nachricht von den politisierten Vögeln Karlsruhes verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die sozialen Medien. #AntifaAmsel wird zum Trending Topic. Internationale Medien berichten über das „deutsche Wunder“. Die BBC sendet eine Dokumentation mit dem Titel „When Birds Sing Revolution“, während CNN eine Expertenrunde zum Thema „Avian Activism“ einberuft.

Tierschutzorganisationen sind gespalten. Während die einen das Projekt als „revolutionäre Form der politischen Bildung für Tiere“ feiern, warnen andere vor der „Instrumentalisierung unschuldiger Vögel für politische Zwecke“. PETA kündigt eine Untersuchung an, ob das Abspielen von Protestliedern als Tierquälerei einzustufen sei.

Besonders pikant wird die Situation, als sich herausstellt, dass auch Vögel aus anderen Ländern Interesse zeigen. Französische Spatzen sollen bereits versucht haben, die Marseillaise zu erlernen, während italienische Tauben angeblich mit „Bandiera Rossa“ experimentieren. Die EU-Kommission erwägt die Einrichtung eines „Europäischen Zentrums für politische Vogelbildung“.

Doch dann geschieht das Unerwartete. Eine besonders begabte Amsel namens Che, nach Che Guevara, versteht sich, entwickelt ein eigenes Lied. Es ist eine Mischung aus traditionellem Vogelgesang und revolutionären Elementen, eine Art „Bella Ciao“ für Fortgeschrittene. Das Lied ist so eingängig, dass es bald von allen Vögeln im Park übernommen wird.

Plötzlich verstummt die Toninstallation. Ein technischer Defekt? Sabotage? Niemand weiß es genau. Doch die Vögel singen weiter. Sie haben ihre eigene Stimme gefunden, unabhängig von der menschlichen Anleitung. Die Revolution hat sich verselbstständigt.

Was als skurriles Kunstprojekt begann, wird zur Metapher für unsere Zeit. In einer Welt, in der alles politisiert wird, von der Zahnpasta bis zum Wetterbericht,, war es nur konsequent, auch die Vögel zu mobilisieren. Doch die wahre Ironie liegt darin, dass die gefiederten Revolutionäre am Ende ihre eigenen Wege gehen.

Heute, Monate nach dem Beginn des Experiments, ist der Karlsruher Schlossgarten ein anderer Ort. Besucher kommen aus aller Welt, um den „singenden Widerstand“ zu erleben. Touristenführer bieten „Antifa-Vogeltouren“ an, und im Souvenirshop gibt es T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich war dabei, als die Amseln rebellierten“.

Die ursprüngliche Toninstallation steht noch immer da, mittlerweile repariert, aber weitgehend überflüssig geworden. Die Vögel haben ihre Lektion gelernt, vielleicht zu gut. Sie singen ihre eigenen Lieder, erzählen ihre eigenen Geschichten, führen ihre eigene Revolution.

Und so bleibt am Ende die Frage: Wer hat hier eigentlich wen erzogen? Die Menschen die Vögel, oder die Vögel die Menschen? In Karlsruhe, wo schon immer alles etwas anders war, ist auch diese Frage revolutionär.

Die Amseln zwitschern weiter. Und manchmal, wenn man ganz genau hinhört, klingt es fast so, als würden sie lachen.

Dieser Essay ist ein satirisches Werk und spiegelt nicht die Meinung des Autors zu politischen Bewegungen oder Vogelschutz wider. Alle Ähnlichkeiten mit realen Personen, Vögeln oder Ereignissen sind rein zufällig, oder vielleicht auch nicht.

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