Die Rettung der Gerechten

Wie man den Bunker moralisch überhöht

Es war einmal ein Land, das den Weltuntergang ökologisch korrekt vorbereiten wollte. Während andere Nationen Atombunker bauten, in denen wenigstens theoretisch noch Platz für ein paar zufällig Überlebende blieb, beschloss man hierzulande, die Prioritäten neu zu ordnen: Nicht mehr der Mensch an sich, sondern der Mensch in Funktion sollte künftig Vorrang genießen. Ein Vorschlag, so visionär wie konsequent: Wenn die Katastrophe kommt, sollen zuerst jene in Sicherheit gebracht werden, die sie verwalten.

Man kann diese Logik bewundern. Denn sie hat etwas von jener anmutigen Selbstbezüglichkeit, mit der sich moderne Moralpolitik gern schmückt. Sie verkündet Gleichheit, während sie an der Hierarchie feilt; sie lobt die Solidarität, während sie den Fluchtweg nur für die Entscheider ausschildert. Das ist nicht Zynismus, das ist schlicht politische Hygiene: Wer das Land regiert, darf nicht von seinen eigenen Entscheidungen überrascht werden.

Die neuen Tugenden des Überlebens

Der Gedanke ist ebenso schlicht wie erhaben: Im Falle einer chemischen, biologischen oder nuklearen Bedrohung soll es eine Institution geben, die zuerst dafür sorgt, dass die Regierungsmitglieder, Abgeordneten und sonstigen Systemverantwortlichen gesund bleiben. Das Volk kann warten, es hat ja Erfahrung darin.

Hier offenbart sich ein völlig neues Verständnis von Daseinsvorsorge: Früher galt es, das Überleben der Bevölkerung zu sichern, damit der Staat weiter existieren könne. Heute muss der Staat überleben, damit die Bevölkerung wenigstens ein Symbol hat, an dem sie sich moralisch wärmen darf. Das ist effizient, ja beinahe elegant: Man spart Ressourcen, indem man die Masse in der Theorie rettet und die Elite in der Praxis.

Der Bunker als Gewissensarchitektur

Natürlich wird niemand sagen, es ginge um Privilegien. Es geht, so die offizielle Begründung, um „Funktionsfähigkeit der Demokratie“. Eine entzückende Formel, wie ein Feigenblatt aus Paragrafenpapier. Denn was wäre schlimmer, als dass im Katastrophenfall das Land führungslos bliebe? Wer sollte dann die Überlebenden beruhigen, ihre Trauer moderieren, und die Pressekonferenz zur Apokalypse eröffnen?

Der Bunker, so darf man es verstehen, ist also keine Fluchtstätte, sondern ein moralisches Bollwerk. Hier werden nicht Menschen gerettet, sondern Werte. Nur dass die Werte zufällig dieselben Personalausweise tragen wie die Ministerien.

Man stelle sich das Szenario vor: Draußen verglüht die Welt, drinnen checken die Mandatsträger den WLAN-Empfang. Einer fragt, ob das vegane Menü auch unter Strahlenbelastung geliefert wird; ein anderer erkundigt sich, ob man die Klimaanlage auf Nachhaltigkeitsmodus umstellen könne. Und irgendwo flackert ein Monitor, auf dem das Volk in Echtzeit erbleicht.

Das neue Feudalprinzip, Demokratie von unten, Schutz von oben

Der Vorschlag, die politische Klasse im Ernstfall bevorzugt zu behandeln, hat eine fast rührende Konsequenz: Er hebt die Trennung zwischen Bürger und Obrigkeit wieder auf, indem er sie zementiert.

Die alte Feudalgesellschaft kannte wenigstens noch den Adligen, der für seine Bauern in den Krieg zog. Der moderne Demokrat dagegen schützt sich vor ihnen, falls der Krieg zu nahe kommt.

Natürlich ist das alles nur Vorsorge, reine Prävention. Man will ja vorbereitet sein. Doch in Wahrheit wirkt der Plan wie ein Spiegel der Zeit: eine Epoche, die von Gleichheit redet, aber Sicherheit nach Klassen verteilt; die Vielfalt predigt, aber im Ernstfall eine Liste führt, wer zuerst zur Rettung antritt.

Der Untertan, heute Bürger genannt, mag sich trösten: Auch er spielt eine Rolle in diesem System. Er ist nämlich das, was man in den neuen Sicherheitskonzepten gern als „Bevölkerungsschutz im nachgelagerten Bereich“ bezeichnet. Das klingt freundlich, fast wie ein Bonusprogramm. Nur dass der Bonus darin besteht, warten zu dürfen, bis die Elite in Deckung gegangen ist.

Von der Volkspartei zur Volksflucht

Die Partei, die sich einst als Sprachrohr der Basis verstand, hat sich inzwischen zur Avantgarde der Vorsorgenden gewandelt. Früher wollte man die Mächtigen kontrollieren, heute will man zu ihnen gehören. Es ist der natürliche Zyklus jeder Revolution: Man beginnt im Zelt und endet im Bunker.

Der Gedanke, im Ernstfall zuerst die Entscheidungsträger zu sichern, verrät aber nicht nur ein elitäres Selbstverständnis, er zeigt auch die tiefe Skepsis gegenüber dem eigenen Volk. Man traut ihm schlicht nicht zu, die Lage ohne Führung zu überstehen. Dabei hat der Bürger in den letzten Jahren gelernt, vieles auszuhalten: Inflation, Heizungsnovellen, moralische Vorlesungen im Abendprogramm. Nur das Vertrauen in seine eigene Urteilskraft, das hat man ihm erfolgreich abgewöhnt.

Die Ästhetik des Ausnahmezustands

In der politischen Gegenwart ist das Katastrophale längst zum Ornament geworden. Jeder Antrag, jede Maßnahme braucht heute eine Dosis Untergang, um plausibel zu klingen. Was früher der Haushaltstitel war, ist heute der Weltuntergang. Man ruft ihn herbei wie eine rhetorische Voodoo-Puppe, um Geld, Macht oder Aufmerksamkeit zu beschwören.

So erscheint auch die Idee des Elite-Schutzes nicht als Zumutung, sondern als Pflicht. Der Bürger soll sie nicht als Ungerechtigkeit, sondern als Opferbereitschaft verstehen: Wenn die Mächtigen überleben, dann, so das Versprechen, überlebt wenigstens die Ordnung. Und Ordnung, das ist ja bekanntermaßen die moralischste Form der Sicherheit.

Die Rettung als Privileg der Verantwortung

Man könnte meinen, all das sei Satire, doch der Gedanke hat Methode. Denn im Subtext schwingt die alte technokratische Versuchung: Die Welt ist zu kompliziert, um sie dem Zufall des Volkes zu überlassen. Deshalb müssen jene, die das Richtige wissen, geschützt werden, koste es, wen es wolle.

Es ist die Logik des modernen Paternalismus: Man behandelt die Gesellschaft wie ein Klassenzimmer voller leicht verängstigter Schüler. Die Lehrkraft weiß, wo der Notausgang ist; die Schüler dürfen nur hoffen, dass die Tür breit genug bleibt. Demokratie wird dabei nicht abgeschafft, sondern in Watte gepackt, sicher, steril, gefiltert durch das Verantwortungsbewusstsein derer, die sich selbst am dringendsten brauchen.

Die stille Revolution der Prioritäten

Das alles wäre halb so komisch, wenn es nicht so ernst gemeint wäre. Denn der Vorschlag ist kein symbolisches Gedankenspiel, sondern ein Symptom. Er zeigt, wie selbstverständlich inzwischen das Denken in Kasten und Funktionsschichten geworden ist. Der Bürger gilt als Teil einer großen moralischen Erzählung, aber nicht mehr als handelndes Subjekt. Er ist Kulisse für das Verantwortungsbewusstsein anderer.

Es ist, als habe die politische Klasse beschlossen, das Vertrauen in sich selbst mit architektonischen Mitteln zu sichern. Wo früher Legitimation durch Wahl geschah, geschieht sie heute durch Beton. Und irgendwo in dieser Schutzanlage sitzt dann die Demokratie, leicht ramponiert, aber noch sendefähig, ein politisches Relikt mit Notstromaggregat.

Die finale Ironie

Man darf sich das Ende gern filmisch vorstellen: Der Ausnahmezustand ist eingetreten, das Land im Chaos, und irgendwo im unterirdischen Schutzraum flackert ein Bildschirm. Darauf läuft eine Ansprache, aufgezeichnet kurz vor dem Einschlag: „Wir sind alle gleich betroffen.“ Danach schaltet sich das Licht aus, der Notstrom läuft, und jemand ruft: „Hat jemand die Kennung fürs vegane Notrationsmenü?“

Der Bürger oben mag inzwischen zu Staub zerfallen sein, aber das System bleibt stabil. Und Stabilität, das wissen wir seit Jahren, ist der neue Fetisch. Sie ersetzt die Freiheit, weil sie verlässlicher wirkt.

Das moralische Erdbeben

Am Ende bleibt die eigentliche Pointe: Es ist nicht der Bunker, der uns lächerlich macht, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der man ihn moralisch verklärt. Die politische Elite glaubt, ihre Rettung sei zugleich die Rettung der Vernunft. Sie verwechselt Überleben mit Bedeutung.

Vielleicht wird man eines Tages in den Geschichtsbüchern lesen, dass die Demokratie an zu viel Verantwortungsbewusstsein zugrunde ging. Nicht an Machtgier, nicht an Zynismus, sondern an der unerschütterlichen Überzeugung, dass sie unersetzlich sei.

Bis dahin aber üben wir weiter das Gleichgewicht zwischen Empörung und Ergebenheit. Wir applaudieren der Fürsorge, während wir im Wartezimmer der Katastrophe Platz nehmen. Und wenn der Alarm ertönt, werden wir wissen: Alles ist gut, denn irgendwo unter uns, in einem klimaneutralen Bunker mit moralischer Abluftanlage, atmen sie noch.

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