Anstelle Millionengewinn Freifahrtschein ins Grab

Es gibt politische Ideen, die sind so brillant in ihrer Absurdität, dass man sie fast für Satire halten möchte, bis man merkt, dass sie ernst gemeint sind. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht per Losverfahren ist eine solche Perle deutscher Realpolitik. Es ist, als hätte jemand beim Frühschoppen beschlossen, die Bundeswehr mit einer Tombola zu modernisieren: Anstelle von Geld oder Autos gibt’s diesmal eben den Hauptgewinn, sechs Monate unter staatlicher Aufsicht, vielleicht mit Aussicht auf Auslandseinsatz, Kasernenhumor und Erziehung zum „Bürger in Uniform“. Der Trostpreis: ein Zertifikat über patriotische Pflichterfüllung und eine bleibende Abneigung gegen alles, was Uniform trägt.

Das Los entscheidet, nicht das Leben

Das Losverfahren, sagen sie, sei gerecht. Denn das Los kennt weder Herkunft noch Vermögen, weder Vitamin B noch Bundesadler. Es greift blind in die Masse der Jahrgänge, schnappt sich einen zufälligen Körper und erklärt ihn zum Eigentum der Republik. Welch herrlicher Fortschritt gegenüber dem alten Zwangssystem! Früher hieß es: Alle müssen. Heute heißt es: Manche müssen, aber alle sollen Angst davor haben. Nebenbei bemerkt: Die Söhne der Großkopferten, von Politikern und Vermögenden kommen garantiert nicht in die Lostrommel.

So wirkt der Staat wieder großväterlich fürsorglich: Er erlaubt dem Bürger, sich sicher zu fühlen, so lange, bis dieser Bürger zufällig gezogen wird. Danach wird er nicht mehr als Subjekt behandelt, sondern als Ressource, als Mensch mit Verwendungszweck. Die Bürokratie jubelt, weil sie endlich wieder etwas hat, das sie „organisieren“ kann. Der Verteidigungsminister lächelt staatsmännisch und spricht von „Verantwortung“, während die Jugend kollektiv das Gefühl bekommt, dass Verantwortung offenbar bedeutet, sich freiwillig auslosen zu lassen, um dann unfreiwillig zu dienen.

Demokratie im Glücksspielmodus

Es ist ein eigenartiger Fortschritt, wenn man die Freiheit der Jugend an eine Lostrommel hängt. Früher galt: Gleichheit vor dem Gesetz. Heute heißt es: Gleichheit im Glück oder Unglück. Wer gezogen wird, dient. Wer nicht, darf sich weiterbilden, arbeiten, reisen, bis die nächste politische Windrichtung beschließt, dass aus dem Losverfahren ein Pflichtdienst für alle wird.

Denn seien wir ehrlich: Das Losverfahren ist keine Brücke zur Freiheit, sondern ein Versuchslabor für künftige Zwangsmaßnahmen. Es wird getestet, wie weit man gehen kann, ohne dass der Widerstand zu laut wird. Erst die Jugend, dann vielleicht die Alten, Arbeitsdienst, Klimadienst, Sozialdienst, wer weiß? Das Los als Werkzeug der Demokratie ist die lächelnde Guillotine des 21. Jahrhunderts: Sie fällt selten, aber völlig willkürlich.

Die verlogene Moral der Gleichheit

Natürlich klingt das alles wunderbar moralisch. „Alle sollen etwas beitragen“, raunt man. Doch was in den Köpfen der politischen Rhetoriker als Gerechtigkeit erscheint, ist in Wahrheit nichts anderes als ein Rückfall in die feudale Idee des Leibeigenen. Nur dass der Knecht heute nicht mehr pflügt, sondern Panzer wienert, Computer wartet oder das nächste Hochwasser schultert.

Der moderne Staat sagt: Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Das klingt erhebend, bis man merkt, dass „Schicksal“ in diesem Kontext bedeutet, dass jemand anderes über deines entscheidet. Der Soldat, der nie Soldat sein wollte, dient plötzlich dem Gemeinwohl. Und das Gemeinwohl? Es klatscht höflich Beifall, während es weiter in Cafés sitzt und über die Gefahren des Populismus debattiert.

Der Preis des Zufalls

Was in der Theorie fair klingt, ist in der Praxis eine zynische Lotterie. Es sind bestimmt nicht die Söhne der Macht, die gezogen werden. Es sind die, die keine Fluchtwege haben, weder juristisch noch geografisch. Wer im Ausland studiert, wer Kontakte hat, wer sich „gesundheitlich ungeeignet“ schreiben lässt, ist fein raus. Der Rest darf dem Vaterland dienen. Das Los ist also nicht blind, sondern nur bequem, es sieht nicht, wen es trifft, aber es trifft fast immer dieselben.

Die Bürokratie nennt das Effizienz. Die Politik nennt es Solidarität. Der Philosoph nennt es Wahnsinn. Und der betroffene Bürger nennt es schlicht Pech.

Pädagogik der Pflicht

Man will die Jugend wieder „an die Nation heranführen“. Das klingt nach patriotischer Sozialarbeit, ist aber im Kern eine Resozialisierungsidee: Wer zu frei denkt, zu kritisch, zu liberal, den muss man ein bisschen drillen, den Geist schleifen, den Körper disziplinieren. Es ist der Traum jeder alternden Republik: die Jugend als Projektionsfläche der eigenen Schwäche.

In Wahrheit hat der Staat längst Angst vor seiner Jugend. Sie glaubt nicht mehr an die großen Erzählungen von Vaterland, Tapferkeit, Dienst und Opfer. Sie glaubt an sich selbst, und das ist gefährlich für Systeme, die ihre Existenz aus kollektiver Unterordnung nähren. Darum braucht man wieder eine Pflicht, wenigstens ein bisschen, wenigstens per Los. Damit alle wissen: Der Staat kann dich jederzeit greifen.

Die Statistik des Grauens

Sechs Monate sind nichts, sagen sie. Ein halbes Jahr Gemeinschaft, ein bisschen Disziplin, ein bisschen Opferbereitschaft. Aber sechs Monate sind eine Ewigkeit, wenn sie einem geraubt werden. Sie sind der Unterschied zwischen Selbstbestimmung und Verfügbarkeit. Zwischen Jugend und Funktion. Zwischen Zukunft und Stillstand.

Und falls es eines Tages ernst wird, wirklich ernst, dann wird aus dem „Dienst an der Gesellschaft“ der „Dienst an der Front“. Aus der Uniform wird nicht mehr Symbol, sondern Schicksal. Aus der Pflicht ein Befehl. Aus dem Los ein Todesurteil.

Das systemische Dahinsterben

Dass man in einem Land, das sich Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde auf die Fahnen schreibt, wieder darüber diskutiert, wie man junge Menschen per Zufallsauswahl in staatliche Pflichtverhältnisse zwingen kann, ist grotesk. Es zeigt, dass der Staat in seiner inneren Ermüdung längst nicht mehr weiß, wie man Loyalität gewinnt, also versucht er, sie zu erzwingen.

Die Wehrpflicht per Los ist kein Ausdruck von Stärke, sondern von Verzweiflung. Ein Staat, der sein Vertrauen in die Jugend verloren hat, würfelt um ihre Körper. Das ist nicht Demokratie, das ist ein Verwaltungsakt mit Grabesduft.

Das große Finale

Man stelle sich die Liveübertragung vor: Ein glänzender Saal, die Nationalhymne erklingt, und irgendwo dreht sich eine Lostrommel. Namen werden gezogen, Applaus brandet auf. Der Minister lächelt staatsmännisch, die Medien sprechen von „gerechter Verteilung“. Und irgendwo sitzt ein junger Mensch vor dem Bildschirm, liest seinen Namen und weiß: Er hat gewonnen.

Nur dass sein Gewinn kein Geld, kein Ruhm, keine Zukunft ist, sondern ein Freifahrtschein ins Grab.

Vielleicht wäre es ehrlicher, zuerst jene einzuziehen, die diese Lostrommel erfunden haben: die politischen Spielleiter, die Strategen der Pflicht und die moralischen Großsprecher in den Talkshows. Wer mit Freiheit spielt, sollte wenigstens einmal erleben, wie es ist, sie zu verlieren. Vielleicht begreifen sie dann, dass Loyalität nicht durch Gesetze entsteht, sondern durch Vertrauen, und dass kein Staat überleben kann, der seine Jugend als Rohstoff betrachtet.

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