Die strafbare Kunst des Bordsteinflirts

Über die kriminalpolitische Neuerfindung des Pfeifens

Es gibt in der Menschheitsgeschichte Augenblicke, die in den Annalen der Zivilisation einen Ehrenplatz verdienen: die Erfindung des Rades, die Entdeckung des Penicillins, die Mondlandung. Und nun, frisch hinzugefügt in das goldene Buch der Fortschritte: die Erkenntnis, dass es vielleicht keine so blendende Idee ist, wildfremden Menschen auf der Straße hinterherzupfeifen. Ja, tatsächlich, Catcalling soll künftig strafbar werden. Die SPD hat es beschlossen, die Gesellschaft soll aufatmen, und man fragt sich unwillkürlich: Wie nur haben wir es bis hierher überhaupt geschafft, ohne diese bahnbrechende Einsicht?

Der Gesetzgeber als Anstandsdame

Man darf den Eindruck gewinnen, die Bundesrepublik sei über Nacht in eine moralische Internatsschule verwandelt worden, in der die Aufsichtsperson mit strengem Blick am Fenster steht und prüft, wer den Mädchen im Pausenhof zu lange nachsieht. Nur dass es diesmal kein gestrenger Präfekt ist, sondern die SPD, die, vom Wähler längst zur Randnotiz degradiert, nun in der Rolle der tugendhaften Gouvernante auftritt. Der Gesetzgeber, so will es das neue Drehbuch, wird zur Anstandsdame der Republik, und man darf schon gespannt sein, ob er künftig auch das schiefe Grinsen auf offener Straße protokollieren lässt.

Denn machen wir uns nichts vor: Wer Catcalling kriminalisieren will, begibt sich in ein Terrain, in dem die Grenze zwischen Strafrecht und Geschmackspolizei fließend wird. Das Pfeifen am Baugerüst, ein Relikt aus einer Ära, in der Testosteron noch für ein akzeptables Kommunikationsmittel gehalten wurde, verwandelt sich plötzlich in eine Art Mini-Delikt, gleichrangig mit Schwarzfahren oder Falschparken. Der Unterschied: Während das Schwarzfahren wenigstens dem Verkehrsverbund schadet, betrifft das Pfeifen das verletzte Ohrgefühl. Und dieses Ohrgefühl ist nun zum politischen Schlachtfeld geworden.

Die akustische Balz

Satirisch zugespitzt könnte man sagen: Die Männer, die früher noch glaubten, durch sonore Pfiffe und markige Rufe ein Exemplar der Spezies Frau beeindrucken zu können, betreiben eine Art archaische Balz, die mit dem modernen Paarungsverhalten ungefähr so viel zu tun hat wie der Federputz eines Pfaus mit einem Online-Dating-Profil. Nun also soll der Gesetzgeber das letzte Federkleid ausrupfen. Das Pfeifen am Baugerüst, das „Hey Süße!“ über die Straßenseite hinweg, all dies soll aus dem öffentlichen Raum verbannt werden wie einst das Rauchen aus den Kneipen.

Man könnte fast Mitleid empfinden mit dieser Spezies, die bislang davon ausging, dass Lautstärke ein Ersatz für Charme sei. Ihre urtümliche Form der Kommunikation wird nun unter Artenschutz gestellt, allerdings nicht in Form von Schutz, sondern in Form von Kriminalisierung. Der Bordstein-Casanova von nebenan, der noch vor wenigen Jahren als skurrile Randfigur durchging, darf demnächst im Bußgeldkatalog neben „Überholen im Überholverbot“ nachschlagen, welche Summe sein akustisches Imponiergehabe kostet.

Symbolpolitik mit Trillerpfeife

Doch worum geht es eigentlich? Natürlich nicht darum, dass die Gesellschaft plötzlich von einem Tsunami der Pfeifgeräusche heimgesucht wird. Catcalling ist ein reales Problem, gewiss, doch die Vehemenz, mit der es jetzt ins Strafrecht hochkatapultiert wird, riecht nach etwas anderem: Symbolpolitik.

Denn was ist praktischer, als ein politisches Signal zu senden, das kaum Haushaltsmittel verschlingt, aber maximal moralische Wirkung entfaltet? Kein Kraftwerk muss gebaut, kein Haushalt saniert, kein Rentenloch gestopft werden, es reicht ein Strafparagraf, und schon kann man im Wahlkampf glänzen.

Die SPD weiß, dass ihre Kernkompetenz in Fragen der Sozialpolitik inzwischen ungefähr so ernst genommen wird wie die Kochkunst einer Diätapp nach der dritten Woche. Also verlegt man sich auf moralische Feldzüge. Der Wähler darf beruhigt sein: Während Bankenrettungen, Pflegenotstand und Energiepolitik ungemütlich teuer sind, ist Catcalling preiswert regulierbar. Es kostet nichts außer einem Bußgeldkatalog und ein paar Debatten im Bundestag. Symbolpolitik mit Trillerpfeife, günstiger war Tugend noch nie.

Europa macht es vor

Natürlich darf man den internationalen Vergleich nicht vergessen. Spanien, Frankreich, die Niederlande, alle haben bereits vorgelegt. Dort kann man für das falsche Pfeifen tief in die Tasche greifen, mitunter sogar ins Gefängnis wandern. Es ist der alte Reflex deutscher Politik: Sobald ein Nachbarstaat etwas hat, das uns fehlt, bricht hierzulande der regelrechte Innovationsneid aus. Warum haben die Franzosen Catcalling schon kriminalisiert, während wir immer noch zusehen müssen, wie die Pariser Bauarbeiter ungestraft pfeifen dürfen?

Ein europäischer Rückstand, der dringend aufgeholt werden muss, damit wir in der Champions League der Tugendwächter nicht länger auf der Ersatzbank schmoren.

Der Alltag als Strafakte

Man darf gespannt sein, wie die praktische Umsetzung aussieht. Wird es demnächst Ermittler geben, die in Zivil durch Einkaufsstraßen patrouillieren, ausgestattet mit Aufnahmegeräten, um die nächste akustische Belästigung zu dokumentieren? Wird das Pfeifen kriminaltechnisch analysiert: War es ein A-Dur oder ein spöttisches Fis? Und vor allem: Wo endet Catcalling, wo beginnt Kompliment? Wer entscheidet, ob ein „Schönes Lächeln“ ein Fall fürs Strafgericht oder für die Partnerschaftsbörse ist?

Natürlich wissen wir, dass es hier um Macht, Abwertung und Machismo geht, nicht um harmlosen Smalltalk. Aber in der satirischen Überzeichnung darf man durchaus die Frage stellen: Wird die nächste Verordnung womöglich auch das exzessive Gaffen im Freibad unter Strafe stellen? Oder gar den zweideutigen Blick im Wartezimmer? Die Republik gleitet ab in eine Gesellschaft, in der selbst der Blickkontakt nur noch mit anwaltlicher Beratung möglich sein wird.

Der Ernst und die Leichtigkeit

Das eigentliche Problem liegt tiefer: Ein ernstes Thema wird mit einem juristischen Vorschlag behandelt, der in der Praxis vor allem Schlagzeilen produziert. Dass Frauen und Mädchen tagtäglich Belästigungen erfahren, ist eine gesellschaftliche Tatsache. Doch die SPD liefert nicht etwa eine groß angelegte Bildungsinitiative, keine Kampagne für Respekt und Empathie, sondern einen Strafparagrafen. Es ist die alte deutsche Lösung: Wenn das Leben kompliziert wird, dann codifizieren wir es.

Die Satire liegt darin, dass die Verrechtlichung zwar einen klaren Rahmen schafft, aber das Problem nicht löst. Catcalling verschwindet nicht, weil es auf Seite 83 des Strafgesetzbuches nachgelesen werden kann. Genauso wenig, wie Rassismus verschwindet, wenn man ihn in einer Broschüre definiert. Aber man darf nicht unterschätzen, wie wohltuend es für Politiker ist, wenn sie beim nächsten Wahlkampf sagen können: „Sehen Sie, wir haben gehandelt.“

Der Preis des Pfeifens

Und so wird das Catcalling bald denselben Status haben wie Parkverstöße: ein Vergehen, das je nach Schwere mit Geldstrafen geahndet wird. Wer pfeift, zahlt. Wer ruft, zahlt mehr. Wer starrt, möglicherweise am meisten, denn das Starren dauert schließlich länger und bindet damit wertvolle Ressourcen des Rechtsstaates. Bald wird man im Bußgeldbescheid nachlesen können: „Tatzeitpunkt: 14.03 Uhr. Tatbeschreibung: Pfeifen in hoher Lautstärke, Dauer zwei Sekunden. Strafmaß: 80 Euro.“

Damit schließt sich der Kreis. Der Staat, der schon unseren Müll trennt, unsere Parkdauer überwacht und unsere Steuererklärungen minutiös prüft, übernimmt nun auch das Monopol auf die akustische Kommunikation im öffentlichen Raum. Ordnung muss sein. Und wenn am Ende des Monats die Stadtkasse klingelt, wird man rückblickend sagen: Catcalling war nicht nur eine Belästigung, sondern auch eine sprudelnde Einnahmequelle.

Schlussakkord

So erweist sich die neue Strafbarkeit des Catcallings als weiteres Mosaiksteinchen in der großen Galerie deutscher Symbolpolitik. Ernstes Problem, schnelle Lösung, maximale Schlagzeile. Die Männer auf den Baugerüsten werden schweigen müssen, was nicht unbedingt ein Verlust für die akustische Landschaft der Innenstädte darstellt. Die SPD darf sich in Tugend sonnen, und die Gesellschaft hat den Eindruck, ein Problem sei gelöst, das in Wahrheit noch immer ein Spiegel größerer Ungleichheiten ist.

Hoffentlich kommt bald das Gesetz gegen zu lautes Kauen in öffentlichen Verkehrsmitteln, gegen penetrantes Rascheln im Kino oder gegen das unerträgliche Tippen auf Handydisplays in der U-Bahn. Und irgendwann werden wir zurückblicken und sagen: Alles begann mit einem Pfiff.

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