Jette N. sucht einen Job – aber nicht jeden

Die Generation „Ich will alles, aber bitte nicht das, was ihr macht“ hat ein neues Gesicht: Jette N. sucht einen Job, allerdings nicht irgendeinen. 40 Stunden im Büro sitzen? Welch groteske Vorstellung! Als würde man sich freiwillig in den metaphorischen Bürostuhlkäfig sperren lassen, um Excel-Tabellen zu zähmen und Kaffeetassen zu stapeln. Nein, das ist nichts für jemanden, der sich intellektuell längst auf einer höheren Ebene wähnt: dem Lebensmodell der kreativen Selbstverwirklichung bei gleichzeitiger Ablehnung von Routinen, die nach 1985 erfunden wurden.

Natürlich hat sie studiert. Man darf annehmen, es war kein Studiengang, der mit langweiligen Dingen wie Bilanzierung, Thermodynamik oder Verwaltungsrecht zu tun hatte. Stattdessen klingt es nach etwas, das in einem Seminarraum mit Säckchen voller Fairtrade-Kaffee und einem Whiteboard voller Begriffe wie „Diskursverschiebung“ und „Dekonstruktion hegemonialer Strukturen“ besser aufgehoben ist als in der realen Arbeitswelt. Es ist nicht so, dass sie nichts gelernt hätte, nur eben nichts, das sich mühelos in Lohnarbeit umwandeln ließe, die pünktlich Gehalt auf’s Konto bringt.

Aber warum auch? Die neue Arbeitsmoral ist eine Mischung aus Protesthaltung und Wellness-Philosophie. Die Maxime lautet: Nur arbeiten, wenn es Spaß macht, sinnstiftend ist und mindestens 80 % Selbstentfaltung garantiert. Die alte Vorstellung, dass Arbeit zuweilen einfach getan werden muss, unabhängig davon, ob sie einem gerade seelisch nährt, gilt inzwischen als Relikt aus einer dunklen Epoche, in der Menschen noch Telefonhörer mit Kabeln benutzt haben.

Die Kritiker werden nun sagen, das sei ein Paradebeispiel der „Meinung-ohne-Ahnung“-Generation. Von Wissen unbelastet, aber von Überzeugung überladen. Wer das als Beleidigung meint, hat nicht verstanden, dass genau das der USP (Unique Selling Proposition) oder auf Deutsch, das „Alleinstellungsmerkmal‟ ist: Moralische Überlegenheit ohne störendes Ballastwissen, das die Argumentationsfreiheit einschränken könnte. Fakten sind nämlich sperrig, sie verhindern die notwendige geistige Beweglichkeit, die man braucht, um auf Twitter in Echtzeit über alles eine Haltung zu haben.

Da zwischendurch ein Tweet zum Jahreswechsel, in dem Männern mit selbstverschuldeten Böllerverletzungen der Verlust ihrer Schlaghand als Gerechtigkeitssymbol zugeschrieben wird. Ein paar Selfies im ACAB-Hoodie. Die Aufforderung, Reichtum am besten gleich zum Frühstück zu verspeisen, metaphorisch oder nicht, das bleibt offen. Wer jetzt denkt, das sei polemisch, hat recht. Aber es ist eine Polemik mit Follower-Potenzial, und das ist heute mindestens so wertvoll wie ein Arbeitsvertrag.

So steht sie also da, nicht als Opfer einer Bildungskatastrophe im klassischen Sinne, sondern als Produkt einer Bildungslandschaft, in der man sehr viel über Strukturen und Systeme lernt, aber erstaunlich wenig darüber, wie man in diesen Strukturen und Systemen überlebt. Vielleicht findet sie am Ende doch einen Job, vielleicht sogar mit weniger als 40 Stunden. Oder sie bleibt einfach im öffentlichen Diskurs, jener endlosen Talkshow ohne Stempeluhr, in der der Applaus virtuell ist, die Reichweite aber real.

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