Pflichtjahr für die Alten

Wenn Ökonomen den Sozialstaat als Straflager neu erfinden

Es ist eine jener intellektuellen Extravaganzen, die nur aus den Höhen ökonomischer Lehrstühle stammen können: Der Sozialstaat stöhnt, die Pflege kracht, die Bundeswehr ist personell eine Erinnerung, und wer soll’s richten? Natürlich die Alten. Nicht etwa die Politik, nicht etwa Investitionen, nicht etwa eine anständige Bezahlung von Pflegekräften, nein: die Rentner. Am besten verpflichtend, wie beim Militär, nur mit Rollator.

Man muss sich den Vorschlag auf der Zunge zergehen lassen: Nach einem halben Jahrhundert Arbeit, Steuerlast und Pflichtbewusstsein sollen Oma und Opa ein weiteres Mal in die Bütt. Diesmal nicht freiwillig, nicht als Ehrenamt, nicht aus innerem Antrieb, sondern per staatlichem Befehl. Pflichtjahr auf Lebenszeit, Deutschland, ein Dienstleistungsgefangenenlager. Wer überlebt, darf vielleicht noch Kreuzworträtsel lösen, aber bitte erst nach der Frühschicht im Pflegeheim.

Man erkennt sofort die Logik: Die Alten haben „zu wenige Kinder bekommen“, also sollen sie nun die Konsequenzen tragen. Dass die geburtenstarken Jahrgänge den Sozialstaat jahrzehntelang finanziert haben, dass sie Haus, Hof und Konto bereits mehrfach geschröpft sehen, spielt keine Rolle. Hauptsache, das Narrativ stimmt: Schuld sind die Alten. Und wenn man ihnen dann noch das moralische Etikett „Solidarität“ umhängt, wirkt es wie ein Orden statt wie eine Zwangsjacke.

Natürlich ist das alles wunderbar „zukunftsorientiert“: Senioren in der Grundschule als Pausenaufsicht, Witwer an der Supermarktkasse, Ex-Ingenieure in der Bundeswehr, wo sie den Panzer reparieren, den sie nicht mehr sehen können, weil die Brille fehlt. Und wenn es um Cyberabwehr geht, dann dürfen sie im Keller des Verteidigungsministeriums ihre Windows-95-Erfahrungen einbringen. Die totale Mobilmachung der Altersklasse, endlich ein Krieg, den man nicht gewinnen, sondern höchstens überleben muss.

Und es ist ja nicht so, dass dies ein Ausrutscher wäre. Der gleiche Geist hat auch schon Sonderabgaben für „Boomer“ ersonnen, mit dem Charme einer finanziellen Keule gegen jene, die angeblich immer noch zu viel besitzen. Die gleiche Denke plädiert für eine Pflicht zur Kita, weil natürlich schon die Kleinsten dressiert werden müssen, bevor sie auf die große Bühne des Zwangsdienstes treten. Von der Wiege bis zur Bahre: Pflichtjahr in Serie.

Man könnte nun sagen, dies sei schlicht dumm. Aber das wäre zu freundlich. Es ist eine ökonomische Groteske, die aus der Unfähigkeit geboren ist, Strukturen zu reformieren. Man weiß, dass Pflegekräfte fehlen, also zwingt man Rentner hinein. Man weiß, dass die Bundeswehr blutet, also schickt man die Großväter in Tarnfleck. Man weiß, dass der Sozialstaat ächzt, also lädt man die Last auf jene, die keine Lobby mehr haben. Politikversagen wird zur moralischen Bewährungsprobe verklärt.

Doch der wahre Witz liegt in der Verlogenheit: Während man die Alten zur Arbeit nötigen will, wird gleichzeitig von „Würde“ gefaselt. Würde aber heißt hier nichts anderes, als dass man nach dem Dienst noch den Müll rausbringen darf, bevor die Arthrose zuschlägt.

Vielleicht wäre es an der Zeit, die Idee konsequent weiterzudenken: Ein Pflichtjahr für Ökonomen ab 50, bevor sie weitere Gesellschaftsexperimente veröffentlichen dürfen. Ein Monat Nachtschicht in der Altenpflege, mit Personalschlüssel 1:48, könnte Wunder wirken. Danach wäre jedes Papier, das „verpflichtend“ im Titel trägt, automatisch verbrannt.

Es bleibt die bittere Pointe: Deutschland hat kein Demografieproblem, sondern ein Phantasieproblem. Statt kluge Migrationspolitik, ordentliche Bezahlung und bessere Organisation zu wagen, werden Zwangsdienste für die Schwächsten entworfen. Wer so denkt, verwechselt Gesellschaft mit Zuchthaus und Solidarität mit Zwangsarbeit.

Am Ende bleibt nur die Frage: Wer zwingt eigentlich die Ökonomen?

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