Sterbe schnell, bevor der Fratzscher kommt

Ein ebenfalls satirisches Manifest gegen das Endlichkeitsmanagement der Demokratie

Es gibt Vorschläge, die sind so bizarr, dass man sie beinahe bewundern muss. Sie haben jenen eigentümlichen Glanz, den nur der Irrsinn im Festtagskleid entfaltet. Wenn die Ratio schon längst ihre Sachen gepackt hat und die Vernunft sich ins Exil verabschiedet, erscheint er auf der Bühne: der Ökonom, der Demograph, der Rechenkünstler mit strengem Blick und seidenweicher Stimme, und erklärt uns, dass die Lösung aller Probleme in einer kleinen Korrektur des Wahlrechts liege. Klein, versteht sich, wie ein chirurgischer Schnitt am Herzen: kaum spürbar, und doch tödlich.

Die Diagnose lautet: Die Alten sind schuld. Schuld am Klimawandel, am Pflegenotstand, am ausgehöhlten Generationenvertrag, am schlechten WLAN in der U-Bahn, vermutlich sogar an der schlechten Laune des jungen, urbanen Baristas, der beim Cappuccino-Schaum stets die falsche Blume zeichnet. Und weil sie schuld sind, soll man sie entrechten. Nicht enteignen, oh nein, das klingt zu brutal. Man entrechtet sie sanft, wie man ein Haustier „einschläfert“: mit verständnisvollem Lächeln, bedauerndem Kopfnicken und dem Hinweis auf das große Ganze.

So also soll das Wahlrecht, diese letzte Bastion der bürgerlichen Würde, zur Altersware erklärt werden. Wer überlebt, verliert. Der alte Mensch, ohnehin schon ein Fossil im Getriebe der neoliberalen Gegenwart, soll gefälligst nicht mehr mitbestimmen, wohin die Reise geht. Die Wahlurne, das neue Fitnessstudio: Eintritt nur bis 67. Danach bitte abtreten, dankbar, dass man noch lebt.

Hier offenbart sich die eigentliche Vision: Die Demokratie ist nicht länger das gemeinsame Haus, in dem jeder Bewohner sein Zimmer hat, sondern ein Club mit Türsteher. Ein Club, in dem das Geburtsdatum entscheidet, ob man noch hinein darf oder schon auf der Straße steht, frierend, während drinnen die Jugend ihre Cocktails schlürft. „Tut uns leid, deine Zeit ist abgelaufen, komm wieder, wenn du reinkarniert bist.“

Man möchte lachen, doch das Lachen bleibt im Hals stecken. Denn hinter der grotesken Komik lauert der Kern des Grauens: die Vorstellung, dass politisches Mitspracherecht keine unveräußerliche Würde sei, sondern eine Art Abonnement, das man verlängern muss, solange man jung wirkt. Wer zu alt aussieht, wird gekündigt. Und weil niemand die Kündigung ertragen will, empfiehlt sich eben jenes Motto: Sterbe schnell, bevor der Fratzscher kommt.

Man stelle sich die Welt nach der großen Reform vor: Jene Republik, die einst stolz auf ihr Grundgesetz blickte, hat die Verfassung in ein Fitnessprogramm verwandelt. Ein „Demokratie-Check-up“ im Altersheim ersetzt den Hausarzt. Auf dem Formular steht: Blutdruck, Blutzucker, Wahlrecht. Wer über den Normwert kommt, verliert automatisch den Stimmzettel. „Tut uns leid, Sie sind jetzt im passiven Bereich der Gesellschaft angelangt. Bitte konsumieren Sie nur noch Fernsehserien und weichen Sie politischer Partizipation großräumig aus.“

Die Alten, die bislang als Wähler noch umworben wurden wie antike Reliquien, werden zum Sicherheitsrisiko erklärt. Ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel, einst Symbol für Würde, zählt nun als Sabotageversuch. Ein 82-Jähriger, der es wagt, über Klima- oder Rentenpolitik abzustimmen, gilt als Gefährder, schlimmer als jeder Terrorist. Denn er hat das Verbrechen begangen, zu lange überlebt zu haben.

Die grotesken Folgen sind absehbar: Pflegeheime mit Wahlrechtskontrolleuren, die regelmäßig prüfen, ob jemand heimlich abstimmen will. Automaten im Foyer, die Ausweise scannen: „Achtung, zu alt! Ihre Stimme wurde deaktiviert.“ Währenddessen werden Wahlplakate vor Seniorenresidenzen verboten, damit sich niemand unnötig aufstacheln lässt. Der alte Mann am Fenster darf höchstens noch über die Gartenbepflanzung mitreden, aber nicht mehr darüber, ob ein Parlament eine Regierung stützt.

Doch die Maschine kennt kein Erbarmen. Sie spuckt die Alten aus dem politischen Körper wie überständige Lebensmittel. „Abgelaufen am 80. Geburtstag“, heißt es dann, und schon riecht die Demokratie nach Kompost. Die Jungen jubeln zunächst, denn endlich, so glaubt man, haben sie die Macht. Doch auch sie werden älter. Und plötzlich erkennen sie: Was einst den anderen geschah, trifft nun sie. Der Türsteher der Demokratie ist unerbittlich, er fragt nicht nach Verdiensten, nicht nach Bildung, nicht nach Weisheit, er schaut nur auf die Zahl im Pass.

So entsteht die neue Form des gesellschaftlichen Wettlaufs: Wer jung ist, lebt im goldenen Zeitalter der Wahlfreiheit. Wer alt wird, gerät in die Todeszone der politischen Stummheit. Die Alten selbst beginnen, ihre Existenz neu zu kalkulieren: „Wie lange lohnt es sich noch zu leben, wenn ich nichts mehr mitbestimmen darf?“ Wer die Wahl verliert, verliert bald auch den Willen. Sterbehilfe und Wahlrechtsentzug werden so zu siamesischen Zwillingen einer perfiden Logik.

Und über allem thront der Prophet dieser neuen Ordnung: ein Ökonom, der die Zahlen sortiert wie andere ihre Briefmarken. Er rechnet in Jahren, Renditen, Restlebenszeiten. Der Mensch ist für ihn kein Bürger mehr, sondern eine Kurve in einem Diagramm. Wer zu weit rechts auf der Zeitachse auftaucht, wird weggestrichen. Das Leben selbst schrumpft zur lästigen Randbedingung eines Generationsvertrags, der längst keine Moral mehr kennt.

Da, genau da, ertönt wieder der Satz wie eine grauenvolle Parole: Sterbe schnell, bevor der Fratzscher kommt.

Am Ende dieser Farce erhebt sich das Bild einer Republik, die ihre Alten nicht mehr ehrt, sondern verwaltet wie Altmetall. Man schiebt sie in die Ecke, versieht sie mit einem Ablaufdatum und nickt gönnerhaft: „Danke für alles, aber nun schweige.“ Der Bürger, einst Subjekt der Demokratie, wird zum Objekt des Verfalls, sein Stimmrecht eine Batterie, die irgendwann einfach leerläuft.

Man male sich den Wahlsonntag der Zukunft aus: In den Schulen geben 18-Jährige ihre Stimmen ab, voller Stolz, noch ganz berauscht von ihrem ersten politischen Akt. Vor den Wahllokalen aber drängen sich graue Gestalten, nicht mehr wahlberechtigt, aber noch lebendig. Sie spähen sehnsüchtig durch die Fenster, wie hungernde Kinder vor einer Bäckerei. Ihre Finger zittern, nicht vor Parkinson, sondern vor dem unerfüllbaren Wunsch, noch einmal das Kreuz zu setzen. Doch der Türsteher ruft: „Ihr seid zu alt! Eure Stimmen sind nicht mehr marktfähig!“

Und plötzlich erkennt man, was geschehen ist: Die Demokratie hat ihren Universalismus aufgegeben, hat die Gleichheit vor dem Gesetz geschreddert wie Altpapier. Das Wahlrecht ist kein Recht mehr, sondern eine Frist. Eine Frist, die unaufhaltsam abläuft. Wer zu lange lebt, verliert die Stimme. Wer zu jung stirbt, verliert sie ebenfalls. Das Leben selbst wird zum Risikospiel: Wähle rasch, solange du darfst, oder stirb rechtzeitig, bevor dich die Bürokratie zum Verstummen bringt.

So wird das Motto zur bitteren Volksweisheit: Sterbe schnell, bevor der Fratzscher kommt. Es ist die neue Lebensregel, graviert auf Grabsteinen: „Hier ruht ein Mensch, der rechtzeitig ging, ehe man ihm die Würde nahm.“ Friedhöfe verwandeln sich in Archive der verhinderten Stimmbürger. Und jede Urne flüstert: „Ich war wenigstens noch frei, als ich starb.“

Der Witz dabei: Wer die Alten entrechten will, um den Jungen mehr Macht zu geben, sägt genau an dem Ast, auf dem alle sitzen. Denn das junge Kreuzchen von heute ist das abgelehnte Kreuzchen von morgen. Jeder Jubel über die entrechtete Generation ist der Auftakt zum eigenen Untergang. Es ist die Diktatur des biologischen Zufalls, die totalitäre Herrschaft des Geburtsdatums. Keine Ideologie, kein Glaube, keine Partei, nur der Kalender als Richter über Würde und Teilhabe.

Vielleicht, so könnte man meinen, ist es genau das, was der moderne Technokrat will: eine Demokratie, die sich selbst sterilisiert, die Bürger wegwirft, sobald sie statistisch unattraktiv werden. Doch wer so denkt, hat die Idee von Freiheit nie verstanden. Er sieht den Menschen nur als Kostenfaktor, nicht als Souverän.

Und deshalb bleibt nur der letzte, satirische Ausweg: Wer die Demokratie liebt, soll sich beeilen. Lebe schnell, wähle früh, stirb jung. Oder wenigstens: Sterbe schnell, bevor der Fratzscher kommt. Denn wenn er kommt, bleibt dir nichts als Schweigen.

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