Zur schleichenden Verschiebung der Gewaltenteilung
Es war ein Ereignis, das weit über die juristische Fachwelt hinaus hallte: Das Bundesverfassungsgericht erklärte im März 2021 Teile des Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig, und zwang die Bundesregierung zu einer Nachbesserung. Das Urteil wurde weithin gefeiert, insbesondere von Klimaschützern, die die Karlsruher Richter als Verbündete in einer moralisch aufgeladenen Auseinandersetzung wahrnahmen. Doch so berechtigt der Wunsch nach entschlossenem Klimaschutz sein mag, das Urteil wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wo endet das Recht, und wo beginnt die Politik?
Was das Gericht entschieden hat, war nicht bloß juristische Korrektur. Es war ein Eingriff in den gesetzgeberischen Ermessensspielraum, mit dem sich Karlsruhe nicht nur als Wahrer der Grundrechte, sondern als richtungweisender Akteur im politischen Gestaltungsprozess positionierte. In seinem Kern enthielt das Urteil ein Gebot zur Zukunftspolitik, ein selten klares Signal an den Gesetzgeber, nicht nur ob, sondern wie Klimaschutz betrieben werden müsse.
Damit ist eine Entwicklung manifest geworden, die sich schon länger abzeichnet: Richter, vor allem in obersten Gerichten, erheben sich zunehmend zu politischen Instanzen. Ob in Fragen des Klimas, der Migrationspolitik, der Finanzordnung oder der Pandemiebekämpfung, Entscheidungen mit weitreichenden politischen Folgen werden heute mehr denn je im Gewand juristischer Argumentation getroffen. Der Rückzug auf das Recht, der ursprünglich als Schutz vor politischer Willkür gedacht war, wird zur Projektionsfläche moralischer Weltverbesserung.
Dies mag gut gemeint sein, doch es untergräbt auf Dauer die demokratische Ordnung. Denn Richter sind nicht gewählt. Sie vertreten kein Volk, sondern das Gesetz. Ihre Autorität speist sich aus Rechtsbindung, nicht aus politischer Repräsentation. Wenn sie beginnen, politische Gestaltungsräume auszufüllen, dringen sie in ein Terrain vor, das anderen Gewalten vorbehalten ist. Die Gewaltenteilung wird so nicht nur durchlässig, sondern porös.
Besonders fatal ist dies in einer Zeit wachsender politischer Polarisierung. Wo Parlamente an Konsensfähigkeit verlieren, wächst die Versuchung, heikle Entscheidungen an Gerichte zu delegieren, in der Hoffnung, dort werde objektiver entschieden. Doch die Judikative kann diesen Ersatz nicht leisten, ohne selbst in den Sog politischer Auseinandersetzung zu geraten. Und sie tut es bereits. Immer häufiger wird richterliches Handeln nicht mehr als neutral empfunden, sondern als ideologisch gefärbt. Das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz steht auf dem Spiel.
Der Rechtsstaat lebt vom Respekt vor den Grenzen. Er lebt davon, dass Richter nicht regieren, und Politiker nicht richten. Wer dieses Prinzip verwischt, mag kurzfristig politische Blockaden überwinden. Langfristig aber riskiert er, dass die demokratische Selbstbestimmung unter dem Deckmantel rechtlicher Notwendigkeit ausgehöhlt wird.
Gerichte dürfen keine Ersatzparlamente werden. Und das Volk hat ein Recht darauf, dass seine Zukunft von gewählten Repräsentanten gestaltet wird, nicht von Richtern in roten und schwarzen Roben.