Einige ironische Bemerkungen zum Woken-Wahnsinn
Es gab also tatsächlich eine Epoche, in der das, was sich unterhalb der Gürtellinie abspielte, streng als Privatangelegenheit galt, quasi ein abgeschottetes Territorium, das man nur mit fest verschlossenen Augen besuchte. Doch heute, o welch rücksichtslose Dekonstruktion des Anstands, stürze ich mich ungewollt in ein Schaufenster seelischer Schieflagen, das der woke Identitätswahnsinn mir aufzwingt. Wo einst verschämtes Tuscheln und heimliches Erröten die Szenerie prägten, erhebt sich nun ein vielstimmiges Orchester aus Pronomenjongleuren, die auf jeder Bühne der Selbstfindung die Nebelkerzen zünden.
Ich erinnere mich an jene seligen Tage, als Mann- und Frausein genügte, um die Biografie eines Menschen in knappen Noten zu fassen. Heute jedoch durchwandere ich ein psychedelisches Labyrinth fluktuierender Gendergestalten, in dem jede Regung zum Symptom transzendentaler Traumaarchäologie stilisiert wird. Ein falsches Pronomen, und schon erklimmt man das Schafott der moralischen Entrüstung. Ob da noch Raum ist für bloße Lebenslust? Wohl kaum, denn das Kontrollorgan der progressiven Avantgarde herrscht mit scharfen Befunden über unser Seelenkleinod.
Neulich erst stieß ich auf einen Proselyten, der mir feierlich eröffnete, seine Identität habe sich transsomnambulent der binären Ordnung entzogen. Ich fühlte mich verpflichtet, mitzuleiden, und war sogleich Zeuge einer dramatischen Krisensymphonie, in der jede mikroskopische Unsicherheit zum Staatsakt der persönlichen Revolution aufgeblasen wurde. Kaum hatte ich meinen Sitzplatz eingenommen, begann die Vorstellung: ein wimmelnder Flickenteppich aus Ängsten, Sehnsüchten und therapeutischen Imperativen. Applaus erntet man nur, wenn man sich anschickt, die eigene Existenz mit einem Kaleidoskop an Zertifikaten zu legitimieren.
Doch wehe dem, der sich diesem Offenbarungskonzert entziehen will! Er wird sogleich zum Ketzer der neuen Identitätsreligion erklärt, der scheinbar privateste Winkel seiner Intimsphäre zum öffentlichen Katasteramt erheben soll. So stehe ich denn da, ein unfreiwilliger Wächter am Tor zur Seelenkontrolle während der ‘woke Identitätswahnsinn’ allenthalben seine Fahnen hisst und selbst die letzten Reste des Privaten in ein prätentiöses Panoptikum verwandelt. Aber wer weiß? Vielleicht entdecken wir ja bald die Identität des Tages im behördlichen Amtsblatt, inklusive psychosozialer Begutachtung und Genderprüfbericht.
Freiheit, Du edle Unbekannte, wo bist Du geblieben?