Gedanken zur deutschen „Kriegsertüchtigung“

„Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“ – dieser alte römische Grundsatz hat über Jahrhunderte hinweg die Außenpolitik vieler Staaten geprägt. Doch hinter manchen kriegerischen Auseinandersetzungen und außenpolitischen Aggressionen verbirgt sich ein weitaus zynischeres Kalkül: Die bewusste Ablenkung von innenpolitischen Missständen und Krisen durch die Schaffung eines äußeren Feindes. Die These, dass Regierungen, die innenpolitisch versagen, dazu neigen, außenpolitisch zu agieren und Kriege anzuzetteln, ist ein wiederkehrendes Muster in der Weltgeschichte, das einer tieferen Betrachtung bedarf.

Diese Strategie folgt einer einfachen, aber wirkungsvollen psychologischen Logik: Ein äußerer Feind schweißt zusammen, schafft ein Gefühl nationaler Einheit und lenkt die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von internen Problemen ab. In Krisenzeiten steigt oft die Unterstützung für die Regierung – ein Phänomen, das in der Politikwissenschaft als „Rally-around-the-flag“-Effekt bekannt ist. Während die Bürger in Friedenszeiten ihre Regierung an wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen messen, treten diese Kriterien in Zeiten äußerer Bedrohung in den Hintergrund. Plötzlich wird nationale Sicherheit zum vorrangigen Anliegen, und Kritik an der Regierung gilt schnell als unpatriotisch oder gar verräterisch.

Die Geschichte bietet zahlreiche Beispiele für dieses Phänomen – von den Machtkämpfen der späten römischen Republik über die imperialistischen Bestrebungen europäischer Mächte im 19. Jahrhundert bis hin zu modernen Konflikten wie dem Falklandkrieg oder den postsowjetischen Auseinandersetzungen. In all diesen Fällen lässt sich ein Zusammenhang zwischen innenpolitischen Krisen und außenpolitischer Aggression erkennen, wenngleich die Motivation für kriegerische Handlungen selten monokausal ist und oft komplexeren geopolitischen, wirtschaftlichen und historischen Faktoren unterliegt.

Dieser Essay untersucht die These, dass innenpolitisches Versagen zu außenpolitischer Aggression führt, anhand ausgewählter historischer Beispiele aus verschiedenen Epochen und kulturellen Kontexten. Dabei sollen sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede in den Motiven und Strategien der handelnden Akteure herausgearbeitet werden. Zugleich wird eine kritische Perspektive eingenommen, die hinterfragt, inwieweit außenpolitische Aggressionen tatsächlich bewusste Ablenkungsmanöver darstellen oder ob sie nicht vielmehr komplexen Wechselwirkungen zwischen innerer und äußerer Politik entspringen.

Die Relevanz dieser Untersuchung reicht weit über das akademische Interesse hinaus. In einer Zeit, in der populistische Bewegungen weltweit erstarken und internationale Spannungen zunehmen, ist das Verständnis der Zusammenhänge zwischen innenpolitischer Instabilität und außenpolitischer Aggression von entscheidender Bedeutung für die Wahrung des Friedens und die Förderung demokratischer Werte. Nur wer die Mechanismen erkennt, durch die innenpolitische Krisen in außenpolitische Konflikte umschlagen können, ist in der Lage, diesen gefährlichen Dynamiken entgegenzuwirken.

Die späte Römische Republik: Innere Konflikte und äußere Expansion

Die späte Römische Republik des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. bietet ein klassisches Beispiel für den Zusammenhang zwischen innenpolitischer Krise und außenpolitischer Aggression. Während Rom nach außen hin eine beispiellose Expansion erlebte und zur dominierenden Macht im Mittelmeerraum aufstieg, erodierte die republikanische Ordnung im Inneren allmählich.

Die innenpolitische Krise Roms hatte ihre Wurzeln in tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten. Die Römer pflegten einen Teil des im Krieg eroberten Landes in Staatsbesitz zu überführen und bedürftigen Bürgern zur Nutzung zu überlassen. Um Aneignung großer Agrarflächen in den Händen einiger weniger zu vermeiden, war der Landbesitz offiziell auf 500 Iugera beschränkt worden. Dieses Gesetz konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Wohlhabende Bürger legten sich riesige Landgüter zu, während gleichzeitig immer mehr Sklaven infolge der siegreichen Kriege ins Land strömten. Die Kleinbauern und Handwerker aus der Schicht der Plebejer konnten mit dem durch die zahlreichen Kriege stetig anwachsenden Sklavenheer nicht konkurrieren.

Diese soziale Krise führte zu politischen Spannungen zwischen den Popularen, die die Interessen der einfachen Bevölkerung vertraten, und den Optimaten, der konservativen Adelspartei. Die Reformversuche der Gracchen, die eine gerechtere Landverteilung anstrebten, scheiterten am Widerstand der konservativen Kräfte und endeten in politischer Gewalt. Tiberius Gracchus wurde ermordet, sein Bruder Gaius sah keinen Ausweg und nahm sich das Leben. Straßenkämpfe und politische Morde wurden zum Alltag in Rom.

In dieser Zeit innerer Zerrüttung intensivierte Rom paradoxerweise seine außenpolitischen Aktivitäten. Nach der „Vesper von Ephesos“, der Ermordung Zehntausender römischer Siedler in Kleinasien, zog Rom in den Krieg gegen Mithridates von Pontos. Diese und andere militärische Unternehmungen dienten nicht nur der Verteidigung römischer Interessen, sondern auch der Ablenkung von den inneren Konflikten. Erfolgreiche Feldherren wie Marius, Sulla, Pompeius und schließlich Caesar nutzten ihre militärischen Erfolge, um ihre politische Position in Rom zu stärken.

Die Bürgerkriege, die schließlich zum Untergang der Republik führten, waren letztlich das Ergebnis dieser Wechselwirkung zwischen innerer Krise und äußerer Expansion. Die militärischen Erfolge einzelner Feldherren verschärften die Machtkämpfe in Rom, während die innenpolitischen Konflikte wiederum zu verstärkten militärischen Aktivitäten führten. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie außenpolitische Aggression nicht nur der Ablenkung von inneren Problemen dienen kann, sondern wie sich innere und äußere Konflikte gegenseitig verstärken können.

Bismarcks Außenpolitik und deutscher Imperialismus: Einigung durch äußere Erfolge

Die Außenpolitik Otto von Bismarcks und der deutsche Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts bieten ein komplexeres Beispiel für den Zusammenhang zwischen Innenpolitik und außenpolitischer Aktivität. Anders als bei der römischen Republik oder der argentinischen Militärjunta ging es hier nicht primär um die Ablenkung von akutem innenpolitischem Versagen, sondern um die Festigung eines neu gegründeten Staates durch außenpolitische Erfolge.

Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 stand Bismarck vor der Herausforderung, die verschiedenen deutschen Staaten, die nun zu einem Reich vereinigt waren, auch innerlich zusammenzuführen. Die außenpolitischen Erfolge, die zur Reichsgründung geführt hatten – insbesondere der Sieg über Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg – hatten bereits eine einende Wirkung entfaltet. Bismarck setzte diese Strategie fort, indem er eine aktive Außenpolitik betrieb, die das Ansehen des neuen Reiches stärken und innere Konflikte überbrücken sollte.

Ein zentrales Element dieser Politik war das komplexe Bündnissystem, das Bismarck in den 1870er und 1880er Jahren aufbaute. Der Dreikaiserbund mit Österreich-Ungarn und Russland, später der Dreibund mit Österreich-Ungarn und Italien, sowie der Rückversicherungsvertrag mit Russland dienten dazu, Deutschland außenpolitisch abzusichern und seine Position als europäische Großmacht zu festigen. Diese diplomatischen Erfolge stärkten das Prestige des Reiches nach innen und außen.

Gleichzeitig nutzte Bismarck außenpolitische Bedrohungen – insbesondere die angebliche „Einkreisung“ Deutschlands durch feindliche Mächte – um innenpolitische Gegner zu diskreditieren und nationale Einheit zu beschwören. Der Sozialimperialismus, also die Ablenkung von innenpolitischen Missständen durch außenpolitische Aktionen, wurde zu einem wichtigen Element der deutschen Politik, besonders nach Bismarcks Entlassung 1890.

Die deutsche Kolonialpolitik, die unter Bismarck zunächst zögerlich, nach seinem Abgang dann immer aggressiver betrieben wurde, diente ebenfalls nicht nur wirtschaftlichen Interessen, sondern auch der innenpolitischen Stabilisierung. Die Kolonien in Afrika und im Pazifik sollten das nationale Prestige steigern und von inneren Problemen wie der „Sozialen Frage“ ablenken. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat diesen Zusammenhang zwischen innenpolitischen Spannungen und imperialistischer Expansion als „Sozialimperialismus“ beschrieben.

Das Beispiel des deutschen Imperialismus zeigt, dass außenpolitische Aktivität nicht nur der Ablenkung von akutem Versagen dienen kann, sondern auch der langfristigen Stabilisierung eines politischen Systems. Gleichzeitig wird deutlich, dass diese Strategie ihre eigene Dynamik entwickeln kann: Die aggressive Außenpolitik des Deutschen Reiches nach Bismarcks Entlassung trug wesentlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei – ein Krieg, der schließlich zum Untergang des Kaiserreichs führte.

Der Falklandkrieg: Eine Militärjunta in der Krise

Ein besonders prägnantes modernes Beispiel für den Zusammenhang zwischen innenpolitischem Versagen und außenpolitischer Aggression bietet der Falklandkrieg von 1982. In Argentinien herrschte zu dieser Zeit eine Militärjunta unter General Leopoldo Galtieri, die das Land seit 1976 mit eiserner Hand regierte.

Anfang der 1980er Jahre befand sich Argentinien in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Inflation erreichte astronomische Höhen, die Reallöhne sanken drastisch, und die Auslandsverschuldung wuchs bedrohlich an. Die wirtschaftliche Misere führte zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung. Immer mehr Argentinier gingen auf die Straße, um gegen die Militärdiktatur zu protestieren. Am 30. März 1982 kam es in Buenos Aires zu einer Großdemonstration, bei der Tausende Menschen gegen die Junta demonstrierten und von Sicherheitskräften gewaltsam auseinandergetrieben wurden.

Nur drei Tage später, am 2. April 1982, besetzte Argentinien die britischen Falklandinseln, die von Argentinien als Malvinas beansprucht wurden. Die Besetzung der Inseln war ein kalkuliertes Ablenkungsmanöver der Militärjunta. Die Generäle hofften, durch diesen außenpolitischen Erfolg die innenpolitische Unterstützung zurückzugewinnen und die Opposition zum Schweigen zu bringen. Tatsächlich führte die Besetzung der Inseln zunächst zu einer Welle patriotischer Begeisterung in Argentinien. Die Junta konnte kurzfristig von ihren innenpolitischen Problemen ablenken und ihre Popularität steigern.

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher reagierte jedoch entschlossen auf die argentinische Aggression. Großbritannien entsandte eine Flotte in den Südatlantik und begann am 1. Mai mit militärischen Operationen zur Rückeroberung der Inseln. Nach heftigen Kämpfen kapitulierten die argentinischen Streitkräfte am 14. Juni 1982. Der Krieg endete mit einer demütigenden Niederlage für Argentinien.

Die Niederlage im Falklandkrieg hatte weitreichende Folgen für die argentinische Innenpolitik. Die Militärjunta, die gehofft hatte, durch den Krieg ihre Macht zu festigen, wurde durch die Niederlage vollends diskreditiert. General Galtieri trat zurück, und die Junta begann zu zerfallen. Im Oktober 1983 fanden freie Wahlen statt, und Argentinien kehrte zur Demokratie zurück.

Der Falklandkrieg ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine autoritäre Regierung versucht, durch außenpolitische Aggression von innenpolitischen Problemen abzulenken – und wie diese Strategie nach hinten losgehen kann. Die kurzfristigen Vorteile einer patriotischen Mobilisierung wurden durch die langfristigen Folgen der militärischen Niederlage mehr als aufgewogen. Der Fall zeigt auch, dass die Ablenkungsstrategie besonders für autoritäre Regime attraktiv ist, die nicht über demokratische Legitimität verfügen und daher anfälliger für innenpolitische Krisen sind.

Russlands Politik im „Nahen Ausland“: Imperiale Nostalgie als Ablenkung

Ein aktuelleres Beispiel für den Zusammenhang zwischen innenpolitischen Herausforderungen und außenpolitischer Aggression bietet Russlands Politik gegenüber seinen Nachbarstaaten im postsowjetischen Raum. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 sah sich Russland mit enormen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen konfrontiert. Der Übergang zur Marktwirtschaft führte zu einer tiefen Wirtschaftskrise, die Lebensstandard vieler Russen sank drastisch, und die neue demokratische Ordnung war fragil.

In dieser Situation entwickelte Russland eine zunehmend assertive Politik gegenüber dem „Nahen Ausland“, den ehemaligen Sowjetrepubliken. Besonders unter Präsident Wladimir Putin, der seit 2000 (mit einer kurzen Unterbrechung) an der Macht ist, wurde diese Politik zu einem zentralen Element der russischen Außenpolitik. Russland nutzt dabei unter anderem die ethno-nationalen Spannungen in ungelösten Konflikten, um seine Nachbarn zu destabilisieren und seinen Einfluss zu sichern.

Ein Wendepunkt in dieser Politik war der Fünf-Tage-Krieg mit Georgien im August 2008. Nach diesem kurzen, aber intensiven Konflikt erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Regionen Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten an und band sie politisch und militärisch eng an Russland. Diese Politik der aktiven Abspaltungsförderung setzte sich in der Ukraine fort, wo Russland nach der Maidan-Revolution 2014 die Krim annektierte und separatistische Bewegungen in der Ostukraine unterstützte.

Die aggressive Außenpolitik Russlands im „Nahen Ausland“ dient mehreren Zielen, darunter auch der Ablenkung von innenpolitischen Problemen. Die Annexion der Krim etwa führte zu einem deutlichen Anstieg der Popularitätswerte Putins, trotz der wirtschaftlichen Probleme Russlands, die durch westliche Sanktionen noch verschärft wurden. Die Rückkehr zu einer imperialen Machtpolitik gegenüber der Nachbarschaft spricht nationalistische Gefühle an und kompensiert den Statusverlust, den viele Russen nach dem Ende der Sowjetunion empfinden.

Gleichzeitig zeigt das russische Beispiel die Grenzen der Ablenkungsstrategie. Die anfängliche Begeisterung über außenpolitische „Erfolge“ wie die Krim-Annexion weicht mit der Zeit der Ernüchterung, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Probleme fortbestehen oder sich sogar verschärfen. Die außenpolitische Aggression kann innenpolitische Probleme überdecken, aber nicht lösen – im Gegenteil, sie kann durch internationale Isolation und Sanktionen zu einer weiteren Belastung für die Wirtschaft und Gesellschaft werden.

Theoretische Einordnung und kritische Perspektiven

Die vorgestellten Beispiele illustrieren verschiedene Facetten des Zusammenhangs zwischen innenpolitischem Versagen und außenpolitischer Aggression. Sie zeigen, dass dieser Zusammenhang ein wiederkehrendes Muster in der Geschichte darstellt, das sich über verschiedene Epochen, politische Systeme und kulturelle Kontexte erstreckt. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Motivation für außenpolitische Aggression oft komplex ist und nicht auf eine einfache Ablenkungsstrategie reduziert werden kann.

In der Politikwissenschaft wird dieser Zusammenhang unter dem Begriff der „Diversionary War Theory“ (Ablenkungskriegstheorie) diskutiert. Diese Theorie postuliert, dass Regierungen in Zeiten innenpolitischer Krisen dazu neigen, außenpolitische Konflikte zu suchen oder zu eskalieren, um von inneren Problemen abzulenken und ihre Popularität zu steigern. Der „Rally-around-the-flag“-Effekt, also die verstärkte Unterstützung für die Regierung in Zeiten äußerer Bedrohung, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Empirische Studien haben gezeigt, dass dieser Effekt tatsächlich existiert, aber in seiner Stärke und Dauer variiert. Demokratien scheinen weniger anfällig für die Versuchung zu sein, durch außenpolitische Abenteuer von innenpolitischen Problemen abzulenken, als autoritäre Regime. Dies liegt zum einen daran, dass demokratische Regierungen über andere Mechanismen verfügen, um mit innenpolitischen Krisen umzugehen, zum anderen daran, dass sie für die Folgen gescheiterter außenpolitischer Abenteuer stärker zur Rechenschaft gezogen werden können.

Kritiker der Ablenkungskriegstheorie weisen darauf hin, dass außenpolitische Entscheidungen selten monokausal erklärt werden können. Auch in den vorgestellten Beispielen spielten neben der Ablenkung von innenpolitischen Problemen stets auch andere Faktoren eine Rolle: geopolitische Interessen, wirtschaftliche Motive, historische Ansprüche oder ideologische Überzeugungen. Die Ablenkungsfunktion kann ein Motiv unter vielen sein, muss aber nicht immer das dominierende sein.

Zudem ist zu beachten, dass der Zusammenhang zwischen innenpolitischer Krise und außenpolitischer Aggression nicht immer bewusst und kalkuliert sein muss. Regierungen, die unter innenpolitischem Druck stehen, können auch unbewusst zu riskanteren außenpolitischen Entscheidungen neigen, weil sie ihre Handlungsspielräume überschätzen oder die Risiken unterschätzen. Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass Entscheidungsträger in Stresssituationen oft zu vereinfachten Denkmustern und überhasteten Entscheidungen neigen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Wechselwirkung zwischen Innen- und Außenpolitik keine Einbahnstraße ist. Nicht nur kann innenpolitisches Versagen zu außenpolitischer Aggression führen, auch umgekehrt können außenpolitische Konflikte innenpolitische Krisen auslösen oder verschärfen. Der Falklandkrieg etwa führte zum Sturz der argentinischen Militärjunta, während der Erste Weltkrieg den Untergang mehrerer europäischer Monarchien beschleunigte. Diese komplexen Wechselwirkungen machen es schwierig, einfache Kausalitäten zu etablieren.

Die zeitlose Dynamik zwischen innenpolitischem Versagen und außenpolitischer Aggression

Die untersuchten historischen Beispiele – von der späten römischen Republik über den deutschen Imperialismus und den Falklandkrieg bis hin zur russischen Politik im postsowjetischen Raum – zeigen deutlich, dass der Zusammenhang zwischen innenpolitischem Versagen und außenpolitischer Aggression ein wiederkehrendes Muster in der Weltgeschichte darstellt. Trotz der unterschiedlichen historischen Kontexte, politischen Systeme und kulturellen Hintergründe lassen sich bemerkenswerte Parallelen erkennen.

In allen betrachteten Fällen diente die außenpolitische Aggression zumindest teilweise dazu, von innenpolitischen Problemen abzulenken und die Position der herrschenden Elite zu stärken. Die psychologischen Mechanismen, die dieser Strategie zugrunde liegen, scheinen universell zu sein: Die Schaffung eines äußeren Feindes fördert den inneren Zusammenhalt, mobilisiert patriotische Gefühle und lässt innenpolitische Konflikte vorübergehend in den Hintergrund treten. Der „Rally-around-the-flag“-Effekt ist keine moderne Erscheinung, sondern lässt sich bereits in der Antike beobachten.

Gleichzeitig zeigen die Beispiele auch die Grenzen und Risiken dieser Strategie. Außenpolitische Abenteuer können kurzfristig von innenpolitischen Problemen ablenken, lösen diese aber nicht. Im Gegenteil: Sie können durch die Bindung von Ressourcen, internationale Isolation oder militärische Niederlagen die innenpolitische Situation sogar verschärfen. Der Falklandkrieg führte zum Sturz der argentinischen Militärjunta, während die aggressive Außenpolitik des Deutschen Reiches nach Bismarck letztlich zum Ersten Weltkrieg und zum Untergang des Kaiserreichs beitrug.

Die Analyse verdeutlicht zudem, dass der Zusammenhang zwischen innenpolitischem Versagen und außenpolitischer Aggression nicht deterministisch ist. Nicht jede innenpolitische Krise führt zwangsläufig zu außenpolitischer Aggression, und nicht jede außenpolitische Aggression ist primär durch innenpolitische Probleme motiviert. Die Entscheidung für kriegerische Außenpolitik hängt von zahlreichen Faktoren ab, darunter die Persönlichkeit der Führungspersonen, die institutionellen Rahmenbedingungen, die internationale Konstellation und die historischen Erfahrungen eines Landes.

Besonders anfällig für die Versuchung, durch außenpolitische Abenteuer von innenpolitischen Problemen abzulenken, scheinen autoritäre Regime zu sein. Dies liegt zum einen daran, dass sie über weniger legitime Mechanismen verfügen, um mit innenpolitischen Krisen umzugehen, zum anderen daran, dass sie die Medien kontrollieren und so die öffentliche Meinung leichter manipulieren können. Demokratien sind durch ihre institutionellen Kontrollmechanismen und die Möglichkeit des friedlichen Machtwechsels besser gegen diese Versuchung geschützt – wenn auch nicht immun, wie verschiedene Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen.

Die Erkenntnis, dass innenpolitisches Versagen oft zu außenpolitischer Aggression führt, hat wichtige Implikationen für die internationale Politik und die Konfliktprävention. Sie legt nahe, dass die Förderung stabiler, demokratischer und prosperierender Gesellschaften nicht nur ein Wert an sich ist, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung. Internationale Organisationen und Diplomatie sollten daher nicht nur auf die unmittelbaren Symptome außenpolitischer Aggression reagieren, sondern auch die zugrundeliegenden innenpolitischen Ursachen in den Blick nehmen.

Für die Bürger und die Gesellschaft bedeutet diese Erkenntnis eine besondere Verantwortung. Sie müssen wachsam sein gegenüber Versuchen ihrer Regierungen, durch außenpolitische Abenteuer von innenpolitischen Problemen abzulenken. Eine kritische Öffentlichkeit, unabhängige Medien und eine starke Zivilgesellschaft sind wichtige Schutzfaktoren gegen diese gefährliche Dynamik.

In einer Zeit, in der wirtschaftliche Ungleichheit zunimmt und internationale Spannungen wachsen, ist das Verständnis der Zusammenhänge zwischen innenpolitischer Instabilität und außenpolitischer Aggression von entscheidender Bedeutung. Die Geschichte lehrt uns, dass innenpolitisches Versagen oft der Nährboden für außenpolitische Abenteuer ist – eine Lektion, die wir im Interesse des Friedens und der internationalen Sicherheit nicht vergessen sollten.

Die These „Wer innenpolitisch versagt, muss außenpolitisch reüssieren, sprich Kriege anzetteln“ erweist sich somit als eine zeitlose Einsicht in die Dynamik politischer Macht. Sie ist keine absolute Gesetzmäßigkeit, aber ein wiederkehrendes Muster, das uns mahnt, innenpolitische Krisen ernst zu nehmen und ihre potentiellen außenpolitischen Konsequenzen zu bedenken. In diesem Sinne ist das Studium historischer Beispiele nicht nur von akademischem Interesse, sondern von höchster praktischer Relevanz für die Gestaltung einer friedlicheren Welt.

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