Der „Wertewesten“

Von der Freiheit, sich selbst zu demontieren

Man muss sich den Westen heute als eine Gesellschaft vorstellen, die sich beim Zerlegen ihrer Fundamente mit der Grazie eines IKEA-Kunden beim Aufbau eines Bücherregals verhält: euphorisch, planlos und am Ende bleibt ein Bein übrig.

Die Familie, ein Relikt für sentimentale Reaktionäre

Früher galt die Familie als Ort der Geborgenheit, der Weitergabe von Kultur und – horribile dictu – als Keimzelle gesellschaftlicher Ordnung. Heute? Ein strukturelles Machtverhältnis, das mit dem Skalpell soziologischer Feinanalyse seziert werden muss. Mutter, Vater, Kind, wie binär! Wie gewaltvoll! Stattdessen feiert man Patchwork, polyamore Cluster oder gleich ganz beziehungsfreie Reproduktion, denn nichts ist moderner, als sich selbst Vater und Mutter zu sein, mit Leihmutter und Leihväterchen, versteht sich. Die Kinder danken es später in der Therapie.

Kindheit – kein Wunder, sondern ein Workshop

Kindheit, einst ein geschützter Raum für Entwicklung und Spiel, ist im Wertewesten zum pädagogischen Schlachtfeld geworden. Genderkompetenz mit drei, Klimaangst mit fünf, Aktivismus mit acht und bloß nicht mehr draußen spielen, denn Naturkontakt ist potenziell infektiös und ohnehin ein kolonial romantisiertes Konstrukt. Stattdessen wird der Nachwuchs früh in die Kunst der Selbstverortung eingeführt. Wer nicht spätestens zur Einschulung weiß, ob er non-binär, demi-gender oder astralsexuell ist, gilt als zurückgeblieben.

Geschlecht, der neue Glaubenskrieg

Einst war Geschlecht eine biologische Gegebenheit. Heute ist es ein Gefühl mit eingebautem Update-Button. Morgens Mann, abends Frau, dazwischen queer-divers mit einem Schuss Pluralität. Die Grammatik ächzt, die Ämter verzweifeln, aber Hauptsache, niemand wird diskriminiert, außer jene, die es wagen, biologische Tatsachen zu benennen. Sie gelten neuerdings als „TERFs“, also Frauenrechtlerinnen mit gefährlichem Realitätsbezug. Man kann gar nicht so viel gendern, wie man kotzen möchte.

Der Export der Leere

Doch der Wertewesten wäre nicht er selbst, wenn er diesen pseudomoralischen Nihilismus nicht als Exportgut begreifen würde. Was in Berlin-Mitte, Brooklyn oder Stockholm als Fortschritt gilt, soll nun auch in Lagos, Jakarta und Kalkutta Fuß fassen. Man belehrt die Welt über „toxische Maskulinität“, während man die eigene Verteidigungsfähigkeit an Genderbeauftragte outsourced. Man erklärt arabischen Stammesgesellschaften die Vorzüge fluiden Familienlebens, und wundert sich, dass man dort bestenfalls ausgelacht wird. Doch das stört den westlichen Missionar nicht. Moralische Selbstveredelung kennt keinen Realitätstest.

Die Religion des Selbst

Was bleibt also vom Wertewesten? Eine neue Religion, allerdings ohne Gott, ohne Erlösung und ohne Transzendenz. Stattdessen: ein heiliges Ich, das ständig verletzt ist, sich unablässig „sichtbar machen“ muss und dabei keinerlei Ironie duldet. Wer sich der neuen Orthodoxie widersetzt, wird nicht mehr mit Argumenten bekämpft, sondern mit Etiketten. „Rechts“, „antisolidarisch“, „strukturell gewaltvoll“, das Vokabular der neuen Inquisition ist monoton, aber effizient. Der Westen ist frei, doch wehe, man nutzt diese Freiheit zum Widerspruch.

Der dekadente Triumph

Und so taumelt der Westen weiter, sich selber feiernd, sich überlegen fühlend, moralisch fragil. Er glaubt, die Welt retten zu müssen, während er nicht mehr weiß, was ihn selbst einst zusammenhielt. Seine Werte sind inzwischen so weichgespült, dass man damit kaum noch Charakter zeigen kann, nur Haltung. Doch Haltung ohne Substanz ist Pose, und Pose ist, wie wir wissen, der erste Schritt in den Abgrund.

Der Wertewesten stirbt nicht an seinen Feinden, sondern an seiner Eitelkeit.

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