Kriegslüstern

Frieden ist zum Unwort geworden

Der Krieg beginnt im Kopf“, eine oft bemühte Sentenz, die in der Gegenwart eine beklemmende Aktualität erfährt. Inmitten eines medialen Grundrauschens, das beinahe täglich kriegerische Szenarien heraufbeschwört, und einer politischen Rhetorik, die sich mit wachsender Entschiedenheit auf »Verteidigungsfähigkeit«, »Kriegstüchtigkeit« und eine vermeintliche »Rüstungswende« beruft, etabliert sich ein Diskurs, der sich allmählich in eine gesellschaftlich sanktionierte Kriegshysterie transformiert. Die vorliegenden Zeilen unternehmen den Versuch, dieser Entwicklung eine kritische Reflexion entgegenzusetzen. Er richtet sich gegen die Normalisierung militärischer Denkweisen, gegen die kollektive Verabschiedung des Krieges als ultima ratio und gegen die ideologische Aufrüstung, die der materiellen stets vorausgeht.

Die gegenwärtige Diskurslage lässt sich kaum anders als alarmierend bezeichnen. Wo einst Skepsis, diplomatisches Kalkül und der Primat friedlicher Konfliktlösung die politische Debatte strukturierten, dominiert heute ein Tonfall, der in seiner martialischen Färbung kaum noch kaschiert, was er intendiert: die psychologische Kriegsbereitschaft. Sicherheitskonferenzen geraten zu Tribünen einer neuen Aufrüstungslogik; Verteidigungsministerien geben sich als Planungsbüros für künftige Feldzüge; und weite Teile der Leitmedien agieren als akklamatorische Klangkörper dieses Denkens. Dass die damit einhergehenden Rüstungsinvestitionen, verharmlosend als »Modernisierungen« deklariert, astronomische Dimensionen annehmen, erscheint folgerichtig in einem Klima, das Widerspruch mit bemerkenswerter Geschwindigkeit als »naiv«, »illoyal« oder gar »landesverräterisch« brandmarkt.

Es stellt sich die Frage: Wie konnte es zu dieser ideologischen Wende kommen? Unbestritten ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 ein geopolitischer Schock, der Europas sicherheitspolitische Koordinaten verschoben hat. Doch was sich seitdem vollzieht, insbesondere im deutschen Diskurs, überschreitet bei weitem die Reaktion auf ein realpolitisches Ereignis. Mit der Beschwörung einer »Zeitenwende« wurden nicht nur Haushaltsprioritäten verschoben, sondern Denkverbote gelockert, Gewissheiten revidiert und Grundhaltungen delegitimiert. Der Diskurs driftet: von der »Friedensdividende« zur »Wehrhaftigkeit«, vom Konzept »ziviler Konfliktprävention« zur Dogmatik »militärischer Abschreckung«, vom Vertrauen in multilaterale Institutionen zur autoritären Selbstvergewisserung in einem imaginierten Weltchaos.

Hier ist ein Innehalten vonnöten. Denn dieser Paradigmenwechsel bleibt nicht folgenlos für das gesellschaftliche Klima. Die Internalisierung des Krieges als Normalzustand, die mentale Vertrautmachung mit dem einst Undenkbaren, markiert eine stille, aber tiefgreifende ideologische Verschiebung. Wenn Schulkinder lernen, was im »Ernstfall« zu tun sei, wenn Universitäten sich zunehmend in militärstrategischen Szenarien verheddern, wenn Künstler und Intellektuelle subtil unter Druck gesetzt werden, sich zur »Verteidigung westlicher Werte« zu bekennen, dann gerät die politische Debatte in den Sog einer disziplinierenden Engführung.

Historische Analogien drängen sich auf, nicht aus Gleichsetzungseifer, wohl aber als ernste Mahnung. Schon im Vorfeld beider Weltkriege war der eigentlichen Aufrüstung eine breite Formierung der öffentlichen Meinung vorangegangen. Die »Heimatfront« wurde im kollektiven Bewusstsein errichtet, lange bevor die ersten Kanonenschläge ertönten. Heute wiederholt sich dieses Muster, medial beschleunigt, emotionalisiert und durchökonomisiert. Die sozialen Netzwerke multiplizieren Affekte, die politische Kommunikation setzt auf Polarisierung, und die Interessen der Rüstungsindustrie kleiden sich in die Sprache der Moral. Wenn ein Unternehmen wie Rheinmetall zur »Zukunftsaktie« avanciert und Waffenlieferungen als Akte »internationaler Solidarität« geadelt werden, dann kippt das ethische Gleichgewicht.

Umso dringlicher ist eine kritische Gegenrede, gerade weil sie zunehmend marginalisiert wird. Friedensinitiativen, die auf Deeskalation insistieren, gelten als weltfremd; Stimmen, die Verhandlungsspielräume einfordern, geraten unter Appeasement-Verdacht. Wer dem Krieg nicht zujubelt, wird zum Sicherheitsrisiko erklärt. In einem solchen Klima schrumpft der politische Horizont, versiegt die Imaginationskraft. Die Vorstellung einer Welt, in der Konflikte strukturell, zivilgesellschaftlich oder diplomatisch bearbeitet werden können, wird zur Randerscheinung.

Doch genau an dieser Vision gilt es festzuhalten. Nicht aus romantisierender Friedenssehnsucht, sondern aus nüchterner Einsicht: Frieden, wirklicher Frieden, lässt sich weder erzwingen noch erzwingen wollen. Die Annahme, Sicherheit sei das Produkt militärischer Überlegenheit, ist eine fatale Illusion, und der Preis dafür ist stets hoch: menschliches Leid, soziale Verwerfungen, politische Verrohung.

Die grassierende Kriegshysterie ist daher mehr als ein Symptom außenpolitischer Verunsicherung. Sie ist Ausdruck eines tieferliegenden Strukturwandels: Die liberalen Demokratien, selbst angeschlagen und vielfach orientierungslos, greifen zur autoritären Geste. Die Militarisierung des Denkens, sichtbar in Bildungsplänen, Etatdebatten und sicherheitsstrategischen Dogmen, ist kein Betriebsunfall, sondern Systemmerkmal. Wer den Krieg für denkbar hält, muss ihn führen können; wer ihn führen kann, wird ihn vorbereiten, so die zynische Logik.

Dem gilt es zu widersprechen. Nicht durch Verdrängung, sondern durch Analyse. Nicht durch moralische Entrüstung, sondern durch politische Argumentation. Denn erst die ungeschönte Auseinandersetzung mit den Folgen militärischer Eskalation, mit den globalen Verwerfungen eines expansiven Rüstungsregimes, mit dem Versagen zukunftstauglicher Außenpolitik, macht deutlich, wie überfällig eine diskursive Abrüstung wäre. Eine politische Kultur, die sich im Ideal militärischer Wehrhaftigkeit gefällt, verliert über kurz oder lang ihre humane Substanz.

Es bleibt daher die Aufgabe wacher Geister, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, mit sprachlicher Klarheit, intellektuellem Mut und dem Vertrauen darauf, dass das Wort der Waffe überlegen bleibt. Solange es noch möglich ist, »Nein« zum Krieg zu sagen, bleibt auch der Frieden denkbar. Und nur wer den Frieden zu denken vermag, wird ihn eines Tages auch verwirklichen können.

Dieser Beitrag wurde unter Gedanken zum Tag, Schlimme Wörter, Staaten untereinander, Systemfehler abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.