Der nette Herr Grund. Fünfzig Jahre alt, solide, beruflich mit einer IT-Firma gut im Geschäft. Ein netter Chef, der Wert auf soziales Miteinander der Kollegen legt und mit seinem Verhalten den Angestellten gegenüber ein lebendes Beispiel liefert.
Drei Kinder hat der gute Mann, eine Tochter und zwei Söhne an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Die Mutter ist, so erzählt er knapp, irgendwann aus dem familiären Fokus verschwunden. Warum, darüber können die Leserinnen und Leser nur spekulieren.
Vielleicht lag es daran, dass Max Grund, bei allem Respekt für ihn, etwas langweilig ist. Viel Temperament hat er nicht, der gute Mann und wenn ein Problem auftaucht, geht er, typischer IT-Mann analytisch vor, um es zu lösen.
Das funktioniert im Binären ganz hervorragend. Nur Eins und Null, kein Dazwischen, keine Umwege, keine Diskussionen.
Die jedoch führt Max Grund seit einiger Zeit mit sich selber, denn er ist mehr und mehr verunsichert über die politische Entwicklung in seiner Heimat. Er beginnt damit, zuerst fast verschämt, dann aber immer resoluter, die Dinge zu hinterfragen, die ihm die Politik täglich präsentiert.
Nichts scheint mehr so zu sein wie früher, als stillschweigende Gewissheit darüber herrschte, dass die gewählten Politiker die Interessen ihrer Wähler vertreten würden, für Sicherheit und eine prosperierende Wirtschaft sorgten und das Land, sein Land, Deutschland, international wettbewerbsfähig hielten und rationale und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen haben. Kurz, eine Nation, die ein respektierter Mitspieler auf der internationalen politischen Bühne gewesen ist.
Tempi passati, so reflektiert Max Grund und wie ein guter Programmierer es unternimmt, arbeitet er Punkt für Punkt das im Argen liegende ab. Und das ist, gelinde gesagt, das ganze System. Von A bis Z, von Arbeitslosigkeit über Deindustrialisierung, Migration und Zuwanderung reicht die Palette seiner bislang ungestellten, nur in seinem Gehirn auftauchenden Fragen.
Es nagt an ihm, bohrt sich immer tiefer in seine Gedankengänge hinein; irgendetwas stimmt mit Deutschland nicht mehr. Einmal angefangen, darüber nachzudenken, gibt es kein Halten mehr, kein zurück zu kuscheligen Zeiten. Diese sind nämlich hart geworden und das Sprechen darüber, zumindest das öffentliche, kann zum Risiko werden. Doch davon ahnt Max Grund noch nichts.
Es ist fast so, als wäre der nette Herr Grund aus einem langen Schlaf erwacht. Ein Schlaf, ein traumloser Schlaf ,der nicht nur ihn, sondern fast alle fleißigen Bürger Deutschlands erfasst hat. Warum ausgerechnet die fleißigen und rechtschaffenen Bürger?
Ganz einfach und das wird Max Grund schmerzhaft bewusst; weil die meisten daran geglaubt haben, dass es immer weiter aufwärts geht; dass sie ihren Kindern und Enkeln ein Land hinterlassen, das es ihnen gestattet, den Wohlstand, wenn nicht zu vergrößern, zumindest doch halten können und das Erbe ihrer Eltern erfolgreich fortführen können.
Was für eine grandiose Fehleinschätzung.
Spätestens seit dem fatalen Herbst des Jahres 2015, als eine Heimsuchung aus der Uckermark die politischen Geschicke Deutschlands bestimmte – angefeuert durch eine korrumpierte Vierte Gewalt – begann der langsame, sich jetzt immer mehr beschleunigende Verfalls des politischen und gesellschaftlichen Konsens, dass es der Souverän ist, dessen Wille die Politiker verpflichtet sind umzusetzen.
Noch eine grandiose Fehleinschätzung.
Je mehr Max Grund den aktuellen Verwerfungen und ihren Ursachen auf den Grund geht, desto sichtbarer wird es für ihn, wie groß die Schäden sind, die die politische Axt bereits geschlagen hat. Es gibt für ihn kein Zurück mehr in den scheinbar paradiesischen Zustand vor dem Schlucken der roten Pille – frei nach der Matrix.
Immer wieder verwundert es Max Grund, wie sehr der Korridor der erlaubt-erwünschten Meinungen sich verengt hat. Diskussionen werden hitzig geführt, die Beteiligten in die üblichen Schubladen gesteckt und der Rest ist Schweigen. Man weiß ja jetzt, wen man meiden muss, will man keine Probleme am Arbeitsplatz bekommen. Das, was einmal Diskussionskultur genannt wurde, ist jetzt geprägt von digitalem Denunziantentum und der Feigheit deren, die lieber die blaue Pille nehmen.
Der Mann wird schier irre an einem System, das in jeder Hinsicht aus den Fugen geraten ist. Die Wirtschaft wird politisch gewollt an die Wand gefahren. Die Gesellschaft entgegen der inzwischen obsolet gewordenen Dublin II Verordnung – sichere Drittländer – sukzessive, aber mit einem erschreckenden Tempo ausgetauscht und Kritiker dieses Vorgangs mittlerweile vom Verfassungsschutz ins Visier genommen.
Bereits wer vom Deutschen Volk spricht, macht sich wegen Volksverhetzung strafbar. Ebenso mutiert Kritik an Politikern schnell zur sog. Destabilisierung der Demokratie und wird selbst bei nichtigen Anlässen, deutlicher ausgedrückt, unterhalb der Strafbarkeitsgrenze juristisch verfolgt. So sind juristische Abmahnungen hinsichtlich kritischer Bemerkungen der Bürger an die Adresse ihrer gewählten Vertreter inzwischen in lohnendes Geschäft für darauf spezialisierte Anwaltskanzleien.
So wird dann auch ein harmloser Post in einem sozialen Netzwerk zum Verhängnis für Max Grund und sein beruflicher und sozialer Abstieg wird zur bitteren Realität.
Willkommen in der schönen neuen Welt angewandter Demokratie.
Bezüglich deren Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Verfassungsschutz oder die Bundesinnenministerin.
Ralf M. Ruthardt, Das laute Schweigen des Max Grund, Edition PJB, ISBN 978-3-9825-7490-5