Eine staatskritische Reflexion
Die politische Moderne rühmt sich ihrer Freiheitsversprechen, ihrer Demokratien, ihrer Verfassungen. Doch hinter dem Wortgeklingel institutioneller Selbsterhebung verbirgt sich eine Wahrheit, die ungern ausgesprochen wird: Der Staat, jener scheinbar neutrale Garant des Zusammenlebens, ist zugleich die Quelle seiner systematischen Verengung. Unfreiheit – nicht als bloßer Verstoß gegen Freiheit, sondern als deren kalibrierte, verwaltete und sanktionierte Version – entspringt nicht am Rand des Politischen, sondern in dessen Mitte. Sie ist dem Staat kein Betriebsunfall, sondern ein strukturimmanentes Moment.
Ursprung der Unfreiheit ist, in der politischen Sphäre, stets der Staat selbst. Nicht zufällig, nicht situativ, sondern notwendig, sofern er als Träger des Gewaltmonopols auftritt, als Architekt der Rechtssetzung, als Grenzzieher des Erlaubten. Was politisch sein darf, entscheidet er; was politisch sein muss, entzieht er der Entscheidung. Die Gesetzgebung, als sakrosankte Form staatlicher Vernunft gepriesen, gerinnt zur Legitimation von Herrschaft unter dem Deckmantel der Ordnung. So werden Freiheitsspielräume nicht erweitert, sondern kanalisiert, mit dem Ziel, sie kontrollierbar zu machen. Es ist ein stilles Paradox: Der Staat garantiert die Freiheit nur, um sie in vorgefertigten Bahnen dulden zu können. Seine Existenz steht auf dem Spiel, sobald Freiheit unregierbar wird.
Dieser Widerspruch ist kein Merkmal autoritärer Systeme allein. Auch der liberale Rechtsstaat lebt von der Voraussetzung, dass seine Bürger frei sind, jedoch nur innerhalb eines durch den Staat gesetzten Rahmens. Insofern ist jede Form staatlicher Organisation eine Form politischer Kontrolle, gleichgültig, ob sie durch Wahlen, Verfassungen oder Gewaltmittel stabilisiert wird. Die vielbeschworene Demokratie ist dabei kein Gegenentwurf, sondern eine besonders raffinierte Ausformung des gleichen Prinzips: Die Souveränität des Volkes dient der Legitimation des Staates, nicht seiner Begrenzung. Wer entscheidet, was zur Abstimmung steht, hat die Macht längst ausgeübt.
Die politische Philosophie kennt diese Spannung seit ihren Anfängen. Bei Hobbes ist der Staat das notwendige Übel zur Zähmung menschlicher Natur, bei Rousseau ein Vehikel kollektiver Willensbildung, bei Bakunin hingegen der institutionalisierte Feind der Freiheit. Foucault schließlich hat gezeigt, dass Macht nicht nur unterdrückt, sondern durch ihre diskursiven Praktiken Subjekte hervorbringt, die sich freiwillig in ihre Regulierbarkeit fügen. Der moderne Bürger ist nicht das Gegenteil des Untertanen; er ist seine optimierte Fortsetzung.
Der Staat erscheint in der politischen Ikonographie als Wächter und ist doch allzu oft nur der Architekt des Gefängnisses, das er zu bewachen vorgibt. Seine Legitimität speist sich aus dem Versprechen, Schutz zu gewähren; doch was als Schutz firmiert, ist nicht selten strukturelle Disziplinierung. In dem Maße, wie er Freiheit organisiert, reguliert er sie und in dem Maße, wie er Ordnung garantiert, definiert er, was als Unordnung zu gelten hat. Der Preis politischer Sicherheit ist nicht selten die schleichende Aushöhlung der Selbstbestimmung.
Wer also über Freiheit spricht, ohne den Staat infrage zu stellen, redet an ihrem Kern vorbei. Die radikale Frage ist nicht, wie der Staat gerechter werden kann, sondern ob politische Freiheit unter seiner Regie überhaupt mehr sein kann als ein wohldosiertes Zugeständnis. Vielleicht wird Freiheit erst dort radikal denkbar, wo der Staat aufhört, ihre Bedingungen jenseits seiner Kategorien, seiner Apparate und seiner inneren Logik zu diktieren. Alles andere bleibt Verwaltung des Möglichen. Freiheit definiert sich anders.