Venus muss weg

Berlin reinigt die Antike

Berlin, die Hauptstadt des praktizierten Irrsinns, hat es wieder einmal geschafft, das Nadelöhr der politischen Avantgarde zu durchschreiten; diesmal im Namen der moralischen Stadtraumpflege. Die Bronze-Skulptur der Venus Medici, jahrhundertelang ein Symbol für klassische Schönheit, künstlerischen Anspruch und anatomisches Feingefühl, wurde für sexistisch erklärt und aus der Öffentlichkeit entfernt.

Endlich! Nach Jahrhunderten schamloser Selbstentblößung muss sich Venus nun anziehen oder zumindest verschwinden. Der öffentliche Raum sei schließlich kein Tummelplatz für antike Nackedeis mit patriarchalem Körperideal, sondern ein Schutzraum für empfindsame Seelen mit Gegenwartsbewusstsein.

Dass es sich um eine antike Göttin handelt? Geschenkt. In Berlin zählt heute nicht, was Kunst will, sondern was Kunst vermeintlich anrichten könnte, sollte ein flüchtiger Blick darauf fallen, womöglich gar ein kindlicher! Wer will schon riskieren, dass ein Zehnjähriger eine Statue sieht, bevor er das Internet entdeckt?

Die Ironie, dass gerade Venus, Göttin der Liebe, Ästhetik und der selbstbestimmten Sinnlichkeit, aus jakobinisch anmutender Prüderie entfernt wurde, ist Berlin egal. Man hat gelernt, dass Eindeutigkeit wichtiger ist als Kontext, Symbolik oder Geschichte. Und so wandert die Venus, wie einst Adam und Eva, hinaus aus dem Paradies der öffentlichen Wahrnehmung.

Dafür bleibt uns die Beruhigung, dass die Stadt nun wieder ein wenig sicherer ist; frei von bronzenem Busen und allzu antiken Zumutungen. Vielleicht wird als nächstes Botticellis „Geburt der Venus“ aus den Schulbüchern entfernt: barbusig, weiße Haut, Schlankheitsnorm, und das in einer Muschel! Wo kommen wir denn da hin?

Was bleibt, ist ein leerer Sockel. Und das beruhigende Gefühl, dass in Berlin Kunst dann Kunst ist, wenn sie niemanden mehr stört, nichts mehr darstellt und am besten gar nicht erst existiert.

Die Dame steht jetzt als Leihgabe im Grassi-Museum in Leipzig.

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