Gedanken über die Auflösung der visuellen Wirklichkeit und die Verantwortung im Umgang mit künstlich erzeugten Bildern.
I. Die neue Unsicherheit der Bilder
Noch vor wenigen Jahrzehnten galt das fotografische Bild als zuverlässiges Dokument der Wirklichkeit. Auch wenn man wusste, dass Perspektive und Ausschnitt Einfluss nehmen, blieb das Grundvertrauen bestehen: „Was auf dem Bild zu sehen ist, ist auch geschehen‟. Mit dem Siegeszug digitaler Bildbearbeitung begann dieses Vertrauen zu erodieren. Doch erst mit der Verbreitung von KI-generierten Bildern ist eine neue Stufe der Verunsicherung erreicht. Nun gibt es Bilder, die keinen Bezug mehr zur Realität haben, sondern eine Realität imitieren, täuschend echt und algorithmisch erzeugt.
II. Das Ende der Referenz
Der französische Philosoph Jean Baudrillard sprach bereits in den 1980er Jahren vom „Zeitalter der Simulation“, in dem Zeichen nicht mehr auf etwas Reales verweisen, sondern nur noch aufeinander. KI-Bilder vollenden diesen Gedanken: Sie zeigen nicht die Welt, sondern was die Welt sein könnte. Der realitätsbezogene Referenzrahmen bricht weg. Bilder werden zu Phantasmen, zu Konstrukten ohne Ursprung.
Dies betrifft nicht nur Kunst und Unterhaltung, sondern zunehmend auch Nachrichten, Politik und Geschichtsschreibung. Wenn ein vermeintlich authentisches Bild eines brennenden Wahrzeichens binnen Sekunden viral geht, bevor es sich als Fake herausstellt, wird deutlich: Der Anschein genügt, um Wirkung zu entfalten: Wahrheit wird sekundär.
III. Ethische Verantwortung in der Bildproduktion
Diese Entwicklung stellt uns vor zentrale ethische Fragen. Wer ist verantwortlich für die Bilder, die eine KI erzeugt? Der Promptgeber, der den Text eingibt? Die Entwickler der KI? Oder die Plattform, die die Verbreitung ermöglicht? In einer Welt, in der Bilder innerhalb von Sekunden Millionen erreichen, ist die Frage nach Absicht ebenso entscheidend wie die nach Transparenz.
Ethisch problematisch ist weniger das Bild an sich als sein Kontext. Ein KI-generiertes Porträt in einer Kunstausstellung wirkt anders als dasselbe Bild in einem politischen Deepfake. Bildethik heißt daher: die Entstehungsbedingungen, die Rezeption und die Absichten mitzubedenken.
IV. Empathie und Manipulation
Eine besonders sensible Zone berührt die Ethik der emotionalen Wirkung. Bilder rufen Mitgefühl hervor, mobilisieren Spenden, erzeugen Empörung. Wenn solche Effekte durch synthetische Bilder erzeugt werden, etwa ein „fiktives“ hungerndes Kind in einer KI-generierten Krisenregion, stellt sich die Frage: Ist es moralisch vertretbar, echtes Mitgefühl durch eine fiktive Darstellung zu entfachen? Oder wird dadurch die Authentizität des Leids entwertet, das echte Menschen erleben?
V. Der notwendige Blickwechsel
Bildethik im KI-Zeitalter verlangt einen doppelten Perspektivwechsel. Erstens: Wir müssen lernen, nicht jedem Bild zu glauben. Zweitens: Wir müssen neue Kriterien entwickeln, um zu glauben, was glaubwürdig gemacht wird. Dazu gehören Kennzeichnungspflichten, algorithmische Wasserzeichen, aber auch eine medienethische Bildung, die Nutzer für die Fallstricke der Bildmanipulation sensibilisiert.
VI. Wahrheit zwischen Sichtbarkeit und Simulation
Im Zeitalter der KI ist die Wahrheit des Bildes nicht mehr selbstverständlich. (Wenn sie es denn überhaupt jemals gewesen ist). Sie muss ausgehandelt, erklärt, hinterfragt werden. Bildethik bedeutet nicht, Bilder zu verbieten, sondern sie verantwortlich zu machen und sichtbar zu halten, was sie zeigen wollen: nicht nur eine Welt, wie sie war, sondern auch eine Welt, wie sie sein könnte.