Das Land der Guten und Gerechten

Die Grimm`schen Märchen beginnen mit „Es war einmal“. Moderne Märchen, wie sie Stefan Schultz, SPON-Redakteur im Ressort Wirtschaft erzählt, dagegen mit „Stellen Sie sich vor, Sie würden in einer Welt leben, in der Sie sich frei entwickeln können. In einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung einen höheren Stellenwert hat als Produktivität. In der Sie weniger arbeiten und dafür Ihren Sehnsüchten nachgehen. Und in der Ihre Mitmenschen Sie nicht nur tolerieren, sondern annehmen, wie Sie sind – mit Ihrem Lebenskonzept, Ihrer Hautfarbe, Ihrer sexuellen Orientierung.“

Worum geht es? Mangels Trump-Tweets, der geht am Wochenende vielleicht eben erwähnten Sehnsüchten nach, mangels „Rechter Aufmärsche“, deren Teilnehmer verwirklichen sich bestimmt gerade selbst und neuer politische Wahnvorstellungen der Grünen, die sich sonntags partiell frei entwickeln, wird einmal mehr das Märchen von der bevorstehenden Transformation der Leistungsgesellschaft in ein, alle Bereiche der Gesellschaft umfassendes Schlaraffenland erzählt.

Doch bevor wir dorthin gelangen, gilt es, so die Aussage des Essays, erst einmal unser Ich in einen Zustand zu versetzen, der es uns ermöglicht, unser Ich kompatibel mit der utopischen Vorstellung zu machen, das Paradies könne bereits im Diesseits erreicht werden.

Klingt komisch, meint der Autor jedoch vollkommen ernst. Nun könnte der aufmerksame Beobachter des politischen Zeitgeists ja auf die Idee kommen, dass solche Vorstellungen und Wünsche eines Redakteurs, also eines Journalisten mit erweiterten Aufgaben und zu Höherem berufen, schlicht und ergreifend der Angst um den Verlust es Arbeitsplatzes geschuldet sind, denn die Abonnenten- und Leserzahlen der „Qualitätsmedien“ befinden sich im freien Fall. Da ist es doch ratsam, bereits jetzt andere Einkommensquellen herbeizuschreiben.

Wie dem auch sei, bis es soweit ist, liegt noch ein weiter Weg vor uns, denn ohne Selbsttransformation des Ich, also die Veränderung unserer Persönlichkeit, wird das nicht funktionieren. Es gibt, Schultz bezieht sich damit auf Ergebnisse der Ich-Forschung – hört sich wieder komisch an, gibt es aber wirklich –, die sage und schreibe zehn messbare Stufen der Ich-Entwicklung unterscheidet, noch Chancen für unser Überleben.

Zum Glück werden nur die Stufen E3 bis E7 vorgestellt, von denen ausschließlich die E7er die Stufe vollständiger Erleuchtung erreicht haben. Wie einfach dagegen waren doch Marxismus, Kommunismus und Sozialismus strukturiert. Da gab es nur zwei Stufen: Bourgeoisie und Proletariat. Na ja, der real existierende Kommunismus/Sozialismus hatte in Form der Partei, die immer recht hatte, noch eine dritte Stufe. Wohin all das geführt hat, konnte man in Kambodscha, China und Russland sehen.

Es ist schon merkwürdig, da erzählen uns unsere Gesellschaftsingenieure permanent, dass alle Menschen und alle Kulturen gleich sind und spielen gleichzeitig die gezinkte Karte E7. Nun sind ja bekanntlich Wissenschaftler, vorzugsweise Sozialwissenschaftler, nicht immer die klügsten und verrennen sich in abstruse Theorien – Kenner der geisteswissenschaftlichen Hochschulszene Deutschlands wissen darum. Man darf sie nicht ernst nehmen, nichtsdestoweniger sind diese Typen jedoch gefährlich.

Wer sind denn, zumindest in Deutschland, nun diese ominösen E7er, die dazu berufen sind, uns alle bzw. die unter uns, die für wert befunden werden, an einer Welt jenseits der Leistungsgesellschaft teilnehmen zu dürfen, in die schöne neue Welt zu führen?

Nein, ich halte es nicht aus! Soll ich lachen oder weinen? Hat die närrische Zeit bereits begonnen? Sind das Symptome postalkoholischer Verwirrung oder die Folgen permanenten Drogenmissbrauchs? Es sind, so der Fachmann für Gesellschaftstransformation beim Spiegel, ausgerechnet „Die Grünen, die viele postkonventionelle Werte der Stufe E7 verkörpern“.

Spätestens jetzt weiß ich, warum der Mann Angst um seinen Arbeitsplatz hat.

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